Guan., Islas de la Bahia, Honduras, 1. November 1996
Lieber M.
Unsere Insel ist verseucht: Die gesamte Küste ist unter dem Regiment der Sandflies. Sandfliegen, Phlebotomen, hier Lutzomyiae, das sind winzige, kaum sichtbare Quälgeister, die nach kurzem unbedeutendem Schmerz des Stiches eine tagelang juckende, manchmal sich infizierende, auch abszedierende Irritation hinterlassen. Sie können Leishmaniasis übertragen, welche aber angeblich hier nicht vorkommt. Um sich zu schützen, müssen freie Körperstellen alle paar Stunden mit Insektenrepellent behandelt werden. Auf dem Schiff, 200 m vom Strand entfernt gibt es das Problem nicht. Auch nicht in den Bergen, doch dort tauscht man den Teufel gegen Beelzebub ein.
Die Viehweiden mit angrenzendem Buschwerk, alle Pfade, die die Insel durchziehen bis hinauf in die Berge, sind das Reich der Zecken. Überallhin, wo Kühe, Pferde, Esel, Ziegen kommen, werden die Zecken verschleppt. Am schlimmsten sind die ganz kleinen, frisch geschlüpften - ebenfalls kaum sichtbar. Sie sitzen oft zu hunderten als Gelege auf den Unterseiten von Blättern, von wo man sie im Vorbeigehen leicht abstreift. Unglaublich schnell finden sie ihren Weg unter die Kleidung, in die Haut. Einzige Möglichkeit, sich zu schützen, ist, ganz dicht gewobene Kleidung zu tragen, lange Hose, langes Hemd und Hut, Socken über die Hosenbeine zu ziehen und sich immer wieder abzubürsten. Einmal vergasen wir, die kleine Handbürste, die sonst immer im Rucksack deponiert ist, mitzunehmen. Glücklicherweise ließ sich aus trockenen Kiefernnadeln und dünner Schnur ein tauglicher Pinsel zusammenbinden. Die Einheimischen sprühen ihre Kleidung mit dem Insektizid Baygon ein, wovon wir allerdings Abstand nehmen. Zurück vom Landausflug entkleidet man sich am Bootssteg erst einmal, bürstet und schüttelt Hemd und Hose, Socken und Schuhe ordentlich aus und verpackt alles in dichte Tüten. Man selbst - zurück am Schiff - badet und seift sich gründlich ab. Die verbliebenen Zecken - einige wenige bis dutzende, die Zahl verringert sich mit wachsender Erfahrug - lassen sich leicht mit Vergrößerungsglas und Pinzette entfernen. Zurück bleibt eine ebenfalls tagelang juckende, bei Kratzen sich infizierende Papel. Rickettsiosen und andere Krankheiten, die Zecken übertragen können, scheinen hier bislang unbekannt.
Dafür gibt es parasitäre Würmer alle Art, Amöben, Salmonellen, gelegentlich Plasmodien. Alle Einheimischen sind davon betroffen, denn deren hygienische Lebensumstände sind gelinde gesagt unzureichend. Wurmkuren werden regelmäßig durchgeführt, Amöben bei Verdacht ohne Diagnose mit schwerem Geschütz bekämpft, bei Fieber wird blind Malaria behandelt. Alle potenten, in der zivilisierteren Welt streng rezeptpflichtigen Medikamente stehen im Supermarkt im Regal, die gleichen, die auch die übrige Welt nimmt, nur zu einem Zehntel des Preises. Auch wir haben uns mit dem Wichtigsten eingedeckt.
Die Bewohner unser Insel sind eine - sehr - bunte Mischung aller Rassen der Region: Weiße - meist Nachfahren englischer Piraten des 18.Jahrhunderts, die noch heute ungeniert den Revolver offen im Hosenbund tragen, aber auch Spanischstämmige, Indios, Mayas, Garifuna-Neger - versprengte und verschleppte Sklaven -, und dann die zugewanderten: Ausgeflippte und Drogenhändler, zufluchtsuchende Outlaws, steckbrieflich Gesuchte und kubanische Flüchtlinge, Glücksritter, die auf den möglicherweise im nächsten Jahrtausend boomenden Tourismus bauen, deren lethargische Trittbrettfahrer, schiff- oder hirnbrüchige Segler, zivilisationsmüde Rentner . . . - für den unbedarften Reisenden ein unglaublicher Schock, abstoßender Ausbund an Häßlichkeit, jede Neugier und guten Willen blockierende Konfrontation mit einer unerwartet anderen Welt.
Hier haben wir gerade ein Stück Land gekauft. Ein Land mit Boas, Skorpionen, Vogelspinnen, mit Milliarden holzhungriger Termiten und baumentlaubender Blattschneider-Ameisen - deren Opfer mit schwarzen, geduldig wartenden Geiern besetzt und mit häßlichen Riesen-Urweltechsen. Ein Grundstück ohne Zufahrt (es gibt weder Straßen noch Autos hier), ohne bequemen Zugang. Nur ein mehr als 3 Kilometer langer steiler halsbrecherischer Maultierpfad führt hin, über einen 330 Meter hohen Paß. Kaum jemand kennt den Teil der Insel, dieses ringsum geschlossene Hochtal namens Puercallis in den Bergen. Von keinem Punkt niedriger als 250 Meter kann es eingesehen werden - und so hoch steigt kaum ein Einheimischer.
Puercallis, das sind fünf fächerförmig angeordnete Täler mit vielen kleinen Bächen in Seiteneinschnitten, flachen Hügeln dazwischen, steilen Anstiegen zu den bis 400 Meter hohen Bergen, mit einem einzigen Abfluß über Wasserfälle zum Meer hinunter, alles tropisch grün, vielfältig, fruchtbar. Bestes Trinkwasser das ganze Jahr über, Wind beständig kühlend, Baumaterialien zur Selbstbedienung: Steine, Quarzsand, Holz, Lehm, Palmen . . . . Warum sollten wir nicht hier ein Häuschen bauen? Auf einem Hügel am Steilabfall zum Meer hin, mit Blick über die ganzen 1,5 Quadratkilometer Hochtal, im Vordergrund der schönste und wichtigste Teil, der uns gehört, über unsere Gärten, Plantagen und Weiden, unseren UL-Flugplatz vor der Tür, übers Meer zum Horizont, hinter dem Kuba, Cayman und Yucatan liegen, das bunte Korallenriff direkt unter uns . . . warum nicht?
Wir jedenfalls fanden nicht genügend Gründe dagegen, sind gerade dabei, für legale Eigentumsübertragung und offizielle Nutzungserlaubnis eine Aktien- und Holdinggesellschaft zu gründen mit hondurenischer Handelsregister-Eintragung:
" Pocalis Ermita S.A. - Jardin Tropical "
Diese Woche reisen wir nach Guatemala für ein paar Wochen - die eingeleitete Prozedur dauert so lange - und werden im neuen Jahr wieder erreichbar sein. Über einen Besuch in D denke ich zur Zeit nach.
Herzlich grüßen
W. und O.
Puercallis,
Pocalis Ermita (mehr darüber) und
Fotos davon
Hurrikan Mitch (1998, Ende des Projekts)
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