Auszug aus einem Brief, geschrieben von W.D. an Bord der Segelyacht "funtom" am 14.04.1999 auf Position 11°28'N /
61°38'W
Er beschreibt Erlebnisse bei Hurrikan Mitch und danach
... möglicherweise sind wir, O.P. und W.D., heute den letzten Tag mit unserem Schiff unterwegs, passieren gerade, von Martinique kommend, die 80 sm breite Straße zwischen Grenada und Trinidad Richtung Süd. Die zurückliegenden paar Tage genossen wir noch einmal ausgiebig das herrliche Halbwind-Segeln zwischen den Windward Islands, suchten die schönsten Ankerplätze auf, freuten uns, daß diese immer noch sind, wie wir sie vor Jahren schon kennengelernt haben und daß der Yacht-Tourismus - nach unserem Eindruck - eher abgenommen hat, abgesehen vom explodierten Charterbetrieb (Zahl und Größe der Schiffe), der gottseidank nur die wichtigsten "Zentren" verändert hat. Dennoch haben wir beschlossen, das Seeleben zu beenden (O.’s Vorstellung) bzw. für einige Zeit zu unterbrechen (meine Option) und nach sieben Jahren mal wieder zu schauen, welche Qualitäten das Leben an Land zu bieten hat. Nach dem zögerlichen, halbherzigen und natürlich zunächst fehlgeschlagenen Versuch, das Schiff hier in der Karibik zu verkaufen, wollen wir es in Chaguaramas/Trinidad neben mehrere hundert andere Yachten an Land abstellen, sind damit einen Klotz am Bein erst mal los und können dann, so hoffen wir, frei wie Hans im Glück die alte Heimat, die keine mehr ist, neu erkunden.
Das zurückliegende halbe Jahr war weniger von Annehmlichkeiten geprägt, eher von unangenehmen äußeren Umständen und
Aufwand fordernden Sachzwängen, beides in Zusammenhang mit dem damals aufkeimenden Gefühl und schließlich der
Zwangsvorstellung, das Seeleben aufgeben zu wollen oder zu müssen. Doch so sang- und klanglos läßt einen das Meer
nicht los, fordert Tribut und straft Untreue mit allerlei Qualen. Stünde ich darüber und auch sonst über allem, hätte
ich meine Siebensachen gepackt, das Schiff
... in Belize, wohin wir für die gefährdeste Zeit wegen der Nähe zu gut geschützten hurricaneholes verlegten, war es diesmal unerträglich heiß und feucht (33°, 80%), das Wasser hatte 30°, nachts kühlte die Luft auf 28° ab. Meine Haut war mazeriert vom Schweiß, eine "Hitzeallergie" (Miliaria) ließ meinen Körper in generalisierter rotgepunkteter Exanthemblüte stehen. Noch vor Ablauf der Hurrikansaison flohen wir deshalb nach Roatan/Bay Island, Honduras (schließlich gab es hier seit 30 Jahren auch keinen richtigen Hurrikan mehr), allerdings nur, um uns in richtig schweißtreibende Arbeit zu stürzen. Nach drei faulen Jahren, was Wartung und Instandhaltung angeht, hatte das Schiff und sein Zubehör - Segel zum Beispiel - einige Schwachstellen, die es vor der großen Reise gen Osten zu beheben galt.
Dann machte uns Hurrikan "Mitch" zusätzlich Arbeit, viele Tage. Er bescherte uns aber auch ein Ur-Abenteuer, ein Schlüsselerlebnis, das ich jetzt, nachdem es überstanden ist, nicht missen möchte. Hier eine kurze Chronologie:
Zwar war das Entstehen des Sturms bei Kolumbien und die voraussichtliche Zugbahn, und damit die Gefahr für uns, schon Tage vorher bekannt, aber die übliche Windstille vor Ankunft des Sturms hier (er unterbricht den normalen Passat) und die Möglichkeit des Motorausfalls hielt uns von der ca. 30-stündigen Fahrt zum Rio Dulce/Guatemala ab. Andere Seglerkollegen vom Ankerplatz entschlossen sich dazu, aber uns war das Risiko, unterwegs auf See eingeholt zu werden, ohne Überlebenschancen, zu groß und so suchten wir in Roatan nach einem geeigneten Schlupfloch für das Schiff und für uns. Häfen und als sicher bekannte Buchten sind allerdings schnell von großen Fischerei- und Frachtschiffen belegt, und falls sich ein solches Schiff im Sturm von seinen Festmachern und Ankern losreißt, kann es eine Segelyacht wie unsere binnen Sekunden versenken. Wir fanden an der Südküste einen kleinen Einschnitt, der uns geeignet schien, da er zu eng und zu flach für große Schiffe ist. Zwar ist er in Karten und Segelliteratur als unbefahrbar beschrieben, aber der Name "Evertime-Bight" aus Seeräuberzeiten, den wir auf einer alten Karte fanden, gab uns Hoffnung. Sofort nach Ankunft und Ankern am Buchteingang loteten wir vom Beiboot aus die Wassertiefe der gesamten Bucht mit Hilfe von Stocherstange und Meßleine aus, fanden unmittelbar neben einer Felswand einen drei Meter breiten und zwei Meter tiefen Kanal weiter landeinwärts in eine tiefere geschützte Lagune, 100 m im Durchmesser, ringsum von Mangroven gesäumt. Niemand kennt wohl den Platz als Schlupfloch für Schiffe, denn wir waren und blieben allein, sahen - von der Saling aus - nur Dutzende von Schiffen draußen vor dem schützenden Riff mal von rechts nach links, dann wieder von links nach rechts fahren, alle auf der Suche nach Schutz. Einen Tag lang hackte ich mit der Machete Wurzeln und Äste von den Mangroven und bereitete einen kleinen "Hafen", in den das Schiff Bug voraus wenigstens mit halber Länge hineinpaßte und wo es mit starken Tauen und Ketten an stabilen Stämmen festgemacht werden konnte, denn Anker allein halten Windstärken, wie sie vorhergesagt wurden, nicht stand. Alles, was Windwiderstand macht, wurde abgebaut und innen verstaut. Insgesamt brachten wir über 800 Meter Leinen, 100 Meter Ketten und sechs Anker aus. Klampen, Anker- und Schotwinschen und alle stabilen Punkte waren belegt, zusätzlich erhielt das Schiff einen stabilen "Bauchgurt" für weitere Leinen. Dem Mast nahm ich mit einem 50 Meter langen "Stoßdämpfer" seine Neigung, ins Schwingen zu geraten. Das Schiff war anschließend wie festgenagelt, bewegte sich keinen Zentimeter mehr in seinem Spinnennetz und wir fühlten uns sicher für den schlimmsten Sturm. Als dann die gemessenen und vorhergesagten Windstärken des herannahenden Hurrikans immer höher kletterten, bis zu noch nie dagewesenen 350 Stundenkilometern, und wir exakt in der Zugbahn lagen, packten wir unsere Wertsachen und wichtigsten Dinge in wasserdichte Kisten und Tonnen, um sie an Land festzubinden, denn bei solchen Gewalten waren wir auf dem Boot nicht mehr gut aufgehoben. Dort, etwas erhöht, aber in sicherer Mulde zwischen zwei schon früher umgestürzten mächtigen Baumstämmen, hatten wir bereits ein Biwaklager für den ultimativen Fall vorbereitet. Häuser gab es meilenweit keine, abgesehen von ein paar palmblattbedeckten Hütten, die längst, schon bei Beginn des Sturms, davongeflogen waren. Ihre Bewohner fanden in stabileren Resten Schutz und einige holten bei uns mehrfach Proviant und Trinkwasser ab. Am Funk verfolgten wir kontinuierlich die Position des Hurrikanzentrums, aber der Sturm wurde immer unberechenbarer und strafte jede Voraussage Lügen, die alle drei Stunden per Kurzwellenausstrahlung des US-amerikanischen National-Hurricane-Centers in Miami/Florida aktualisiert wurde. Das viermotorige Meß-Flugzeug der US-Küstenwache hörten wir oft in den Wolken und sahen es mehrfach im Tiefflug. Auch unsere Position konnten wir per VHF an die "Außenwelt" durchgeben.
Wenige Stunden bevor das Auge über uns stehen sollte, machte Mitch plötzlich Halt, kreiste zwei volle Tage um Guanaja, die Schwesterinsel, 23 Meilen von uns entfernt, und bog dann unerklärlicherweise und entgegen jeder Vorhersage Richtung Festland-Honduras ab. Die Folgen dort hat man auch in Europa dem Fernsehen entnehmen können: Zehntausende Tote, Millionen Obdachlose, Verlust von über 60% Infrastruktur in Nicaragua und Honduras. Wir blieben verschont!
Nach einer Woche konnten wir unseren kleinen Hafen verlassen und wir verlegten an unseren ursprünglichen Standort. Für einen Tag. Denn Mitch kam zurück. Er war über das Festland - es gibt da über 3000 m hohe Berge - in den Pazifik gestiegen, über Guatemala nach Mexiko gezogen, hatte dort die ärmste Region Chiapas getroffen und wanderte jetzt zurück nach Norden in den Golf von Mexiko, über Yucatan und wieder so dicht an uns vorbei, daß Wind und Wellen uns ein zweites Mal nötigten, einen geschützteren Platz aufzusuchen, diesmal aber nur mit einem Anker. Florida bekam Mitch noch ab, ebenso die Bahamas, und als Herbststurm erreichte er sogar noch Europa. Hier bei uns brachte er die Atmosphäre bis hoch in die Stratosphäre derart durcheinander, daß das Wetter viele Wochen verrückt spielte und völlig anders war als in früheren Jahren.
Anfängliche Gerüchte über Guanaja, das einige Tage völlig von der Außenwelt abgeschnitten war, verdichteten sich langsam aber sicher zur Gewißheit: Die Insel ist zerstört. Zwei volle Tage hatte der Sturm hier in einer Stärke gewütet, wie noch niemals zuvor und nirgendwo sonst in der Welt vorgekommen. Verglichen mit dem, was Guanaja abbekam, war der Wind über dem Festland, wo viele tausend Menschen in den Fluten umkamen, nur noch ein Hauch. Wir packten unser Schiff voll mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs und machten uns bei erster Gelegenheit auf den Weg. Was wir sahen, machte immer deutlicher, welches Glück wir gehabt hatten. Ganze fünf Kilometer von unserem Mangrovenhafen entfernt war ein ganzes Dorf (Punta Gorda an der Nordküste) mit über hundert Häusern einfach von Flutwellen weggespült worden. Je weiter wir nach Osten kamen, desto mehr wandelte sich das sonst üppige Grün Roatans in braun und grau. Auch Barbareta, unsere mehrfach besuchte Lieblingsinsel, machte einen arg gebeutelten Eindruck. In großem Abstand segelten wir vorbei, Ziel Guanaja. Das Bild, das sich uns dort bot, übertraf alle Erwartungen und Befürchtungen. Die Insel ist bedeckt von kahlen Baumruinen, keine Spur von Grün blieb zurück. Kein Baum, kein Strauch behielt die Blätter, selbst Gras wurde ausgerissen, Erde vielerorts weggespült. Kahle Felsen, nackte Erde, Erdrutsche, Trümmer von Bäumen, Trümmer von Häusern, so empfing uns "unsere" Insel. Häuser, die auf Pfählen am Wasser gestanden hatten, fehlen einfach, spurlos. Vom protzigsten und neuesten Haus in unserer Stamm-Ankerbucht Fruit Harbour Bight blieb ein kleines Häufchen Schutt. Gesunkene und gestrandete Fischereischiffe am Strand, von einer an Hans’ (Anm.: deutscher Auswanderer) ehemaligem Dock abgestellten deutschen Yacht ("Mach Zero") ragt nur noch der Mast aus dem Wasser, der Rumpf von den Pfählen durchlöchert. Wo früher die Bar "Horizonte" stand, zeugt nur noch ein einsames verbogenes Gestell der Satellitenantenne von anderen Zeiten. Hotel "Manati", angeblich hurrikansicher gebaut, büßte Dach, mehrere Wände und die rechten Winkel ein. Mehrere hundert Häuser fehlen insgesamt, viele verbliebene sind unbewohnbar, 2000 Menschen sind obdachlos (Zwei Millionen in ganz Honduras und Nicaragua). Auch Spicer, unser 82-jähriger Freund verlor sein Haus komplett, seine Farm und Obstplantage bei Mangrove Bight ist nur noch ein Trümmerfeld. Das Dorf existiert nicht mehr. Vier von über hundert Häusern stehen noch, vom Rest meist nicht mal mehr Spuren. Die Menschen - wegen rechtzeitiger Evakuierung wurde niemand verletzt - bereiten gemeinsam den Wiederaufbau an anderer Stelle vor. Hier luden wir unsere mitgebrachten Spenden aus, konnten aber an dem früher so geschützten Ankerplatz nicht lange bleiben, weil das Korallenriff über eine Breite von 500 Metern weggerissen ist und jetzt Dünung in die Bucht hereinsteht, wo früher glattes Wasser war. Unsere kanadischen Freunde Doug und Mary, die sich nach langem Seeleben und sechs Jahren Suche nach der schönsten Stelle zum Niederlassen während unseres früheren Aufenthalts dort ein echtes Paradies mit Palast von Haus geschaffen hatten, verloren - gerade fertig - buchstäblich alles außer ihrem Leben und einem leergefegten Strandgrundstück. Wir segelten einmal um die Insel herum, sahen nur Zerstörung und wurden immer neu unseres Glücks bewußt, verschont worden zu sein.
Nicht dieses Glück hatte die Crew des großen Viermast-Seglers "Fantome", den wir schon öfters getroffen hatten. Das Schiff mit über 4 Meter Tiefgang hatte keinen Schutzhafen gefunden, sank in der Nähe von Guanaja und 31 Menschen ertranken. Einen ihrer letzten Funksprüche hatten wir zufällig noch mitgehört. (Unser Schiff heißt übrigens "Funtom", was damals einige Konfusion bereitete) - Auch in anderem Zusammenhang, nach dem Mißerfolg mit Puercallis, ist für uns eine Uminterpretation der erlebten eigenen Geschichte angesagt: "Noch mal Glück gehabt!" Entgegen fester Vorsätze war ich zweimal oben in den Bergen, in Puercallis - fand überall nur noch Riesen-Mikadofelder. Bis die Insel ihre Schönheit wiedererlangt, vergehen ein paar Jahre oder auch viele. So lange wollen wir keinesfalls bleiben, ergreifen die erste Gelegenheit zum Absprung.
Die bietet sich, als das letzte Tiefdruckgebiet der Saison in der SW-Karibik nach einer Woche noch immer stationär ist und sich aufzufüllen beginnt (aus solch einem hatte sich Mitch entwickelt). Wir setzen Kurs Kuba, Cabo San Antonio im Westen - drei Tage normal. In der zweiten Nacht kommt die Wettermeldung, das Tief habe sich in Bewegung gesetzt, in unsere Richtung. Erst nimmt der Schwell zu, dann auch der Wind. Wir biegen ab Richtung Mexiko, schlängeln uns - illegal - durch die Riffeinfahrt einer Lagune, "Espiritu Santo", hoffen, daß das patroullierende Küstenwachschiff uns unbehelligt läßt. O. wird krank, hat Fieber und Husten, immerhin Grund, einen Notfall deklarieren zu können. Es entwickelt sich kein neuer Hurrikan, nur schlechtes Wetter für ein paar Tage.
Von so weit im Westen ist es jetzt allerdings schwieriger, gegen den vorherrschenden Ostwind über den starken Yucatanstrom nach Kuba zu segeln. Wir nutzen deshalb die Winddrehung durch die nächste vorbeiziehende Kaltfront, die als schwach, also ungefährlich, angekündigt ist, können zunächst San Antonio anliegen, mit dem Ziel Bahamas, nonstop, entlang der Nordküste Kubas. Doch 50 Meilen draußen verstärkt sich die Front. 30 - 35 Knoten Wind aus Nordwest gegen 4 Knoten Strom nach Nordwest machen grobe, brechende See. Wir müssen abfallen, segeln Richtung Isla de Juventud (Isla de Pinas). Die Bedingungen sind an der Grenze des Erträglichen, lassen schon mal so was wie Angst aufkommen, Angst, der Mast könne brechen oder auch der Rumpf, wenn er manchmal in freiem Fall in ein Wellental kracht. Das Material ist schließlich zwanzig Jahre alt, teilweise vielleicht ermüdet. Das Schott zwischen Ankerkasten und Vorschiffkoje wird undicht, Wasser bricht ein, Matratzen saugen sich mit Seewasser voll. In der dritten Nacht bricht das Vorstag, die daran geheißte kleine Fock 2 reißt, ein Teil flattert am Masttopp, der andere geht ins Wasser, bremst die Fahrt augenblicklich auf Null. Glücklicherweise kann unsere Phantom 35 allein mit gerefftem Groß beiliegen. Fast alle Teile lassen sich bergen, nur um in den Mast zu gehen muß ich bis Sonnenaufgang warten. Oben ist der Masttoppbeschlag ausgerissen, der 13mm-Bolzen samt Splint fehlt, außerdem das dreifarbige Positionslicht und der Windrichtungsanzeiger. Die Erschütterung hat letztere wohl über Bord gehen lassen. Auf Kanal 16 melden wir uns bei der nächstgelegenen Insel an, Cayo Largo, erreichen sie am Abend, tasten uns in der Dunkelheit - es sind Korallengewässer - zu einem Ankerplatz vor. "Glück gehabt!?" - Der Mast steht immerhin noch.
Am nächsten Morgen: Einklarierungszeremonie. Acht Mann, Beamte, eine Frau, Quarantäneärztin und ein Cockerspaniel, Drogenspürhund, kommen an Bord, alle inklusive Hund extrem freundlich. Drei Monate dürfen wir bleiben, falls wir wollen. Wir wollen nicht, kommen nur zum Arbeiten, Reparieren: Vorstag behelfsmäsig neu spannen, Topplicht neu bauen (aus Nescafeglas), neues Schott einlaminieren, diverse andere Seewasserquellen abdichten, Matratzen waschen, Segel nähen, Segel nähen, ... aber Weihnachten bedeutet uns ja ohnehin nichts und Silvester sind wir schon wieder 300 Meilen weiter - ausschließlich motorte Meilen (wegen Flaute! - mal zuviel, mal gar kein, nie der Wind, wie man ihn gerne hat) - Hafenstädtchen Pilon im Südosten, betreten hier erstmals die Hauptinsel Kuba. Grundnahrungsmittel dürfen wir nicht kaufen - gibt's nur auf Lebensmittelkarten. Ein Schwarzmarkthändler verschafft uns wenigstens Fisch, Bananen, Tomaten, gut für zwei Wochen.
Nettes Erlebnis im nächsten Hafen (Chivirico): Ein Beamter erklärt uns zwar, daß wir hier und heute nicht an Land gehen dürfen (es ist gerade 40-jähriges Revolutionsjubiläum und F. Castro bei Feierlichkeiten in der Nähe - vielleicht Vorsichtsmaßnahme wegen vieler vorausgegangener CIA-Mordversuche?), aber der junge Mann, der ihn zu uns herausgerudert hat, kommt später schnorchelnd (unter Wasser!) zu uns, versteckt sich hinter dem Schiff vor Blicken vom Land und fragt, was wir brauchen. Er hatte mitbekommen, daß wir einkaufen wollten und nun nicht können. Es gäbe zwar keinen Laden, aber er würde schon was besorgen. Wir bestellen Brot und Mehl. Abends dann klopft es am Schiff. Wir sehen einen großen Waschzuber im Wasser schwimmen, hören leise Stimmen in der Dunkelheit. Die beiden jungen Männer im Wasser hieven den Zuber zu uns hoch und lassen sich - trotz des strengen Verbots - gern an Bord einladen. Nur Licht dürfen wir nicht machen. 15 Pfund Mehl und 50 frisch gebackene Roggenbrötchen bringen sie mit - aus purer Gastfreundschaft -, freuen sich aber trotzdem über Bezahlung und Tauschgüter. Im nächsten Hafen, Baitikiri, nochmal 200 Meilen weiter und vorbei an der taghell erleuchteten, US-Macht-demonstrierenden Guantanamo-Bay, sind wir das erste einlaufende Schiff seit sieben Monaten. Wieder dürfen wir nicht an Land. Kein Zoll am Ort. Wir könnten zwar wieder einen offiziellen "Port of Entry" anlaufen - hier in der Nähe wäre das Santiago de Cuba - und könnten uns dann an Land frei bewegen, aber wegen der sehr gründlichen, nach Erfahrungsberichten anderer Skipper auch schikanösen Einklarierungsprozeduren und unserem fehlenden Bedürfnis nach Sightseeing verzichten wir darauf, selbst auf’s eigentlich notwendige Ausklarieren und segeln am nächsten Morgen weiter, Richtung Haiti, Südküste, diesmal mit Wind, viel Wind, aus einer Kaltfront, die die Windward-Passage aufwühlt und uns drei weitere Tage treu bleibt. Zweimal fliegt uns ein US-Coastguard-Hubschrauber an, nachts bringt uns ein US-Patrouillenboot auf. Gegen internationales Recht zwar, aber unsere Freunde, die Mickymäuse, sind eben die Herrscher der Welt und gebärden sich entsprechend, stellen viele blödsinnige Fragen am Funk. Mit gewissem Maß an "cooperation" und verhaltenem Humor ("nur über meine Leiche") kann ich ihr Ansinnen, bei diesem Seegang unser Boot zu entern, um es zu durchsuchen, abwenden. Frühmorgens dann, im Schutz der Südwestküste Haitis, fahren wir Slalom durch eine Armada aus Segelbooten, -bötchen, Flößen, zerbrochenen Surfbrettern mit pechschwarzen Fischern, die sich beeilen, in unsere Nähe zu segeln bzw. zu paddeln, um uns zu bedeuten, daß sie Hunger haben und wir ihnen gefälligst was reichen sollen. Heraus aus dem Schutz empfängt uns die Südküste mit kräftigem Gegenstrom und ebensolchem Wind. Hier beginnt die Frustration des Aufkreuzens. Unser schwer beladenes Fahrtenschiff kann unter Bedingungen der offenen See, d.h. mit hohen Wellen, ungefähr 50 Grad an den Wind, hat aber natürlich noch Abdrift durch Wind, Seegang und - hier beträchtlich - Strom. So segeln wir zwar mit 5-6 Knoten durchs Wasser, haben aber über Grund nach den Kreuzschlägen nur 1,5 bis 2 Meilen pro Stunde in der gewünschten Richtung gutgemacht, manchmal auch nur eine oder - auch vorgekommen - weniger!
Zwei weitere volle Wochen, Tag und Nacht, bedienen wir uns dieser anachronistischen Fortbewegungsart. Wer Vergnügen dabei hat ist Masochist oder kompensiert damit seine gewöhnlich noch übleren Lebensbedingungen. Einen Stop gönnen wir uns nach der zweiten Nacht hinter einer vorgelagerten Insel (Île à Vache), belagert von Schwarzen ("give me a dollar"), aber auch sehr netten darunter, die uns mit frischem Obst und Eiern versorgen. Die dritte Nacht wird schrecklich, zumindest O. fand sie so, deshalb fahren wir die folgende dicht unter Land - weil dort ohne Wind und Wellen - mit Maschine, Radar, GPS, Echolot und dem ganzen verfügbaren Aufgebot an Technik. Da wir hier gar nicht sein wollten - geplant waren ja die Nordküsten der Großen Antillen und die Bahamas - haben wir natürlich keine genauen Seekarten, nur ein paar in Kuba schnell kopierte Übersegler auf DINA4-Blättern. Ein paar Tage später ankern wir spät nachts vor einem Strand am Ostende der Dominikanischen Republik, illegal, da uns vor dem Anlaufen von Santo Domingo zum Einklarieren abgeraten worden war. Prompt steht am nächsten Morgen Militär da, will Papiere sehen. Langes Palaver auf Spanisch, dann auf Englisch mit herbeigeholtem Dolmetscher. Schließlich einigen wir uns, ihre "Unkosten" zu zahlen - 5 US$ - und wir segeln umgehend weiter über die Mona-Passage nach Puerto Rico, US-amerikanisches Territorium. Wieder Hubschrauber tags, Patrouillenboote nachts, Verlauf wie gehabt. Zwar haben wir kein Visum für die Staaten (braucht man, wenn man in privatem Schiff einreist), aber in Puerto Rico soll man es für 90 Dollar kaufen können. In Belize-City hatte uns die US-Botschaft Visa verweigert mit der Begründung, wir hätten wegen der vielen Stempel in unseren Pässen wohl keine Bindung ans Heimatland, und beim deshalb angenommenen Verdacht, wir wollten in den USA bleiben, um dort zu arbeiten, werde uns die Einreise verweigert. Ein weiterer Stempel ziert seither die letzte Seite unsere Pässe und brandmarkt uns als abgewiesene Visum-Antragsteller. Ja, so sind sie, unsere Freunde, die Mickymäuse, Herrscher der Welt. Wir ankern in Ponce, ich gehe an Land, telefoniere mit Zoll ("no problem") und mit der Immigration. Der Beamte brüllt mich durchs Telefon an, als wolle ich ihm ans Leben oder an sein Eigentum. Er will jetzt 340 Dollar für die Visa. Da uns das für das erhebende Gefühl, in den Staaten zu sein, zu viel ist, müssen wir auf der Stelle das Land wieder verlassen. Es reicht nicht mal zu kurzem, eigentlich notwendigem Einkauf und auch Diesel tanken dürfen wir nicht. Es bedeutet weitere drei Tage und Nächte unter Segel auf See bis zur ersten nichtamerikanischen Insel. Die folgenden Nächte wieder diese plötzlich auftauchenden unbeleuchteten Coastguard-Schiffe, blendende Scheinwefer, Fragen am Funk. Das Wetter wird schlechter, gegen Wind und Wellen kommen wir kaum noch an. Nach insgesamt 14 Tagen auf See seit Kuba schleichen wir uns wie Diebe in stockdunkler Nacht durch die - noch immer - US-Virgin-Islands, ankern, wieder illegal, zwischen hundert anderen Seglern, brechen bei Morgengrauen wie Flüchtlinge auf, erreichen Jost van Dyke. Endlich eine britische Insel, wo wir unser Dasein wieder legalisieren können! Wir bleiben ein paar Tage, genießen das erste Mal seit drei Jahren, mit dem Schiff wieder in richtig zivilisierten Gewässern zu sein, teilen die Freude am Paradies British Virgin Islands mit vielen Hunderten anderer Segler, vorwiegend Urlaubs-Charterern.
Ein großer Sprung noch - das letzte Mal gegen Wind und Strom - und wir sind wieder auf den kleinen Antillen, genauer Leeward-Islands, Inseln unter dem Winde. Hier, im holländisch-französischen Sint Maarten / Saint Martin war es, wo vor 4 Jahren Hurrikan Luis 1000 Yachten versenkte. Reste und Wracks liegen noch immer an den Ufern und am Grund der großen Lagune. Hier gibt es wieder alles zu kaufen - wirklich alles, und der Status Freihandelszone ohne Zoll lockt täglich viele tausende Besucher an. Sie kommen in Riesenkreuzfahrtschiffen, oft fünf nebeneinander ankernd, in Großraumflugzeugen, Jumbos, DC10s, Airlinern aller Größen und Länder, in pausenlos startenden und landenden Shuttles von und zu den anderen Inseln. Hier haben wir als erstes das Schiff wieder komplettiert, repariert, was die vergangenen Monate und Jahre zu Bruch gegangen war, haben die Farbe erneuert, die von Gischt und Wellenschlag auf den über 3000 gefahrenen Meilen seit Honduras abgespült worden war, haben den Verkauf des Schiffes angeleiert, warten auf Faxe von Interessenten aus Deutschland, die leider/gottseidank nicht eintreffen. Also Martinique zum achten Mal, Trinidad zum vierten und im Mai nach Deutschland ...
unser 'hurricane-hole' (Kartenskizze)
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