DornTorus (1) (www.dorntorus.de)
Vorspann
Die folgenden Aufschriebe entspringen
- bis auf einen Traum - authentisch Erlebtem.
Sie waren - und sind - bestimmt für meinen Freund
Michel Dominetti. (Namen leicht verändert)
Er ist ein bemerkenswerter Mensch: Korse von Geburt, kam er mit der, wie er meint, Engstirnigkeit seiner Landsleute nicht zurecht. Es zog ihn in die Ferne, er genoß eine, zwar nicht akademische, doch umfassende Ausbildung, wurde gefördert von klugen Leuten, die sein Genie erkannt hatten, arbeitete sich mit besessenem Enthusiasmus und unermüdlichem Fleiß in die verschiedensten und schwierigsten Fachgebiete ein, reiste viel und weit, sah und erlebte viel in der Welt, spricht mehrere Sprachen fließend, auch deutsch. In den unterschiedlichsten Berufen, die ich gar nicht alle kenne, verdiente er sich ein kleines Vermögen. In Afrika, zum Beispiel, war er eine Zeit lang Großwildjäger, doch - bezeichnend für ihn - nicht eine einzige Trophäe hat er in seinem späteren Haus in Solmeto ausgestellt. Lediglich das imposante Gehörn eines korsischen Widders ziert den Eingang. Laura hat er mitgebracht aus Afrika, Australierin, Tochter eines damaligen UN-Botschafters, als er in mittleren Jahren zur Einsicht gelangte, daß es zu den spannendsten Erlebnissen der Beschwernisse des Reisens nicht bedarf. Er besann sich seiner geistigen Interessen, baute für die Familie - zwei Töchter und einen Sohn hat er - ein wunderschönes Haus in fantastischer Lage mit Blick über den Golfo di Valinco und auf das gegenüberliegende Propriano. Aber er fand keine Freunde. Erst bedauerte er dies ein wenig, lachte dann aber in souveräner Weise darüber, stellte fest, daß er die gar nicht brauchte, kaufte für sich ein großes Stück Land - Cagliata, eine ganze Landschaft mit Hügeln, Tälern, Bächen, einer Meeresbucht, Cala Tonca. Sein dortiges Steinhaus renovierte er eigenwillig, stopfte es voll mit Büchern. Er war glücklich. Glücklich bei seiner Familie, glücklich mit sich in seiner Einsiedelei.
Hier war es, wo ich ihn kennenlernte, wo Orchidee und ich ihn das erste Mal trafen. Wir machten damals - 10 Jahre ist es her - in Touristenmanier eine Fahrradreise rund Korsika, campierten auch ein paar Tage in Cala Tonca. Beim Aufziehen eines schweren Gewitters suchten wir Schutz in einer nahen Scheune, trafen dort den Bergbauern, der etliche Tiere und landwirtschaftliches Gerät versorgte. Ohne viel Worte wies er uns statt der Scheune ein altes massiv gebautes Häuschen zu. Wir sollten es uns bequem machen, uns ruhig an den Lebensmitteln bedienen, die hier lagerten. Aus den Kisten wählte er eine Flasche Wein aus, stellte sie auf den niedrigen Tisch: Sartene, die von uns vor allen anderen bevorzugte Sorte! Zu allem Überfluß holte er noch, ohne daß wir auch nur mit einem Wort danach gefragt hätten, eine Anzahl frischer Eier, so daß wir die Möglichkeit hatten, unseren zuvor erlegten Tintenfisch zu panieren. Die Nacht sollten wir hier verbringen und ihm am nächsten Morgen beim Frühstück Gesellschaft leisten. - Uns verschlug es die Sprache. - Keinesfalls war es unsere Urlaubsstimmung, die dann tags darauf einen fühlbaren Funken gegenseitigen Interesses überspringen ließ. Wir erkannten: Michel ist ein außergewöhnlicher Mensch!
Bei unserem nächsten Aufenthalt in Korsika - ich betrieb nebenberuflich ein kleines Touristikunternehmen und flog gelegentlich Passagiere dorthin - riefen wir ihn an, luden ihn als Revanche für seine Gastfreundschaft zu einem Rundflug über seine Besitzungen ein. Sofort war er mit Laura und Sohn zur Stelle, freute sich sichtlich, uns wiederzusehen und nahm uns anschließend mit in sein Haus in Solmeto. Laura bereitete ein Festmahl, er erzählte aus seinem Leben. Auch er war viel mit Kleinflugzeugen geflogen während seiner Zeit in Afrika und wir fachsimpelten über die Fliegerei. Die Freundschaft begann, sich zu festigen. Ich wunderte mich in keiner Weise über seine detaillierten Fachkenntnisse auch in Gebieten der modernen Naturwissenschaften und auch nicht über sein ungewöhnlich differenziertes Weltverständnis, so souverän und selbstverständlich ging er damit um, gerade als würde er täglich an wissenschaftlichen Gesprächsrunden teilnehmen.
Unsere weiteren - häufigen - Aufenthalte in Korsika nutzten wir nach Möglichkeit zu einem Besuch bei ihm. Die Freundschaft entwickelte sich zu einem mir völlig neuen Erlebnis: sie entpuppte sich als ausgeprägte Seelenverwandtschaft mit unglaublich kongruenten Denkinhalten. Allzuoft verblüffte Michel mich mit seiner offensichtlichen Gabe des Gedankenlesens. Und manchmal staunte er selbst über sich. Bei unserem letzten Besuch, über vier Jahre zurück, überraschte er uns mit der Ankündigung, demnächst wegzuziehen, alles wieder zu verkaufen und sich in Australien - Lauras Heimat - niederzulassen. Das Problem, das er mit seinen Landsleuten hatte, nagte doch wohl mehr an ihm, als er bereit war zuzugeben. Seinen Kindern wollte er wenigstens eine offene Umgebung und einen weiten Horizont bieten, so sagte er. - Ganz selbstverständlich meldeten wir unseren Besuch an, sobald er uns mitteilte, wo sein neues Zuhause sei. Der Brief kam, und Orchidee und ich machten uns auf den Weg.
Den im folgenden abgedruckten Brief an Michel - allzu persönliches ist weggelassen - habe ich vor kurzem (Anm.: inzwischen ist es einige Jahre her) als Computerdiskette (damit er per Übersetzungs-Software bequemer lesen konnte) nach Australien geschickt. Er kam zurück an meine Postadresse, geöffnet zwar - der australische Zoll ist recht penibel -, aber unverändert. Ich schickte meinem Freund und Postverwalter in Deutschland per Computerfax eine Kopie des Originals zum Vergleich: „files are identical“. Anderes fand er nicht per „dir a:“ und hidden files waren nicht registriert in der FAT. Also benutzte er die Diskette für eigene Zwecke, berichtete aber bei meinem nächsten Anruf, doch noch per Zufall eine Datei gefunden zu haben namens „?elier.doc“, eine bereits gelöschte also. „Sofort wiederherstellen!“ war mein aufgeregter, spontaner Ausruf. Zu spät - überschrieben - inzwischen sogar umformatiert für seinen Macintosh - unwiederbringlich verloren! Ich Esel, warum hatte ich ihn nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen!?
Wofür steht das Fragezeichen? belier, delier, relier, ...? BELIER! Widder! Michels Familienwappen ist das Widdergehörn! Gut, der Kontakt ist zumindest wieder hergestellt nach vier Jahren. Ich schreibe ihm einen neuen, kurzen Brief, bitte um Anruf in Deutschland. Der Brief kommt ungeöffnet zurück: „Addressee unknown / moved“ ist darauf gestempelt. Ich schicke einen weiteren Brief mit der dringenden Bitte an die Poststelle, ihn nachzusenden. Er kommt zurück. „Addressee unknown“, moved ist durchgestrichen.
Kurzentschlossen besorge ich mir ein Visum, fliege nach Brisbane, miete einen Wagen, fahre noch am selben Tag nach Woombye. Keine Spur der Dominettis! Ich will nicht aufzählen, was im folgenden ich alles unternehme, irgendein Lebenszeichen Michels und seiner Familie zu erhalten. Kein Hinweis! Nichts bei allen Poststellen in der Umgebung, kein Farmer kennt sie, unbekannt bei Behörden, in Woombye, Gympie, Brisbane, Sydney, Canberra ... Nichts!! Als seien sie nie hier gewesen. Tag um Tag lasse ich mir Neues einfallen, wie man Vermißte in solch einem riesigen Land aufspüren könnte. Ohne jeden Erfolg! Viel zu lange forsche ich. Ich muß zurück. Die Hurrikan-Saison steht unmittelbar bevor und jeden Tag können Orchidee und das Schiff in akute Gefahr geraten. Einmal noch fahre ich nach Woombye, besteige den Mount Beerwah. Auf dem Gipfel, in der Mitte des felsigen Plateaus, in einer Art Feuerstelle mit kreisförmig angeordneten Steinen, liegt ein Widderhorn - ein linkes.
Michel, was treibst Du für ein häßliches Spiel mit mir? Wohin, zum Teufel, bist Du abgedriftet? - Ich gebe auf, fliege zurück. Orchidee ist wohlauf, das Schiff in Ordnung - ich bin es nicht.
Cher Michel
Einen langen Brief zu beginnen, einen Brief, von dem ich weiß, daß er mich einige Monate beschäftigen wird, von dem ich nicht weiß, ob er jemals beendet werden wird, der nicht nur kurzes Lebenszeichen sein soll, sondern etwas über mein Leben selbst erzählen soll, meine Gedanken, über Geheimnisse und Entdeckungen, die ich noch keinem Menschen anvertraut habe, diesen ganz besonderen Brief zu beginnen, dazu bedarf es eines guten Grundes, eines guten Maßes an Überwindung und vor allem: es bedarf eines ganz besonderen Tages.
Heute ist ein solcher Tag!
... Orchidee hat seit Jahren einen Lieblingsstern. Sie nennt ihn respektvoll „Le Vieux Baron“. Ihn hatten wir, die wir nachts gerne nach der Methode der alten Polynesier navigieren, während der letzten Überfahrt, zusammen mit der Brandmarke am Hals des Kamels - in Orchidees Nomenklatur „Gamma-Gemme“ - als Marke ausgewählt, Mast, Wanten, Stage, Relingsstützen und dergleichen als Zeiger vor dem Himmels-Screen für Deckpeilungen benutzend. Heute bereitet sich Vieux Baron noch darauf vor, für kurze Zeit hinter der zunehmenden Mondsichel zu verschwinden. Kein ganz besonderes Ereignis, aber immerhin, es kommt nicht sehr häufig vor und ist Anlaß, einen Blick in die Ephemeridentabellen zu werfen. ...
... Wir beide, Orchidee und ich, haben einen Lieblingsort auf unserer Insel. Wir nennen ihn „Adlerhorst“, denn er steigt vom Scheitelpunkt einer tief eingeschnittenen, mangrovenbesäumten Bucht steil und nahezu unzugänglich aus dem Meer empor, dicht in tropischen Dschungel gehüllt. Heute haben wir entdeckt, daß ein geheimnisvoller Pfad mit in den Fels gehauenen Stufen und Hohlgassen nach oben führt, jedoch undurchdringlich überwuchert, bestimmt seit einem Menschenleben nicht mehr begangen.
Heute - aus einem seltsamen, unbestimmten Glücksgefühl heraus - haben wir beschlossen, uns hier für einige Zeit niederzulassen, unsere Reise hier zu unterbrechen. Ich fühle, dieser Ort übt in einer mir bisher unerklärlichen Weise eine seltsame Anziehung auf mich aus, und irgend etwas macht mich sicher: hier werde ich ein Rätsel vollends entschlüsseln, das mir über so lange Zeit die Ruhe genommen hat, hier werde ich meine verlorengegangene Kreativität wiederfinden, meine Ruhe, Ausgeglichenheit.
Beim Studium der topografischen Karte - die Himmelsposition des Vieux Baron noch in ganz frischer Erinnerung - stellen wir fest, daß die geografische Breite des Adlerhorsts mit des Vieux Baron Deklination übereinstimmt. Und zwar exakt - auf die Hundertstel Bogenminute genau! Die Karte ist neuesten Datums, die Koordinaten sind satellitenvermessen, die Sterndaten für das Aequinoctium 2000.0 auf das heutige Datum rückinterpoliert!
Um die Besonderheiten des heutigen Tages fortzusetzen - wir liegen übrigens mit unserem Schiff bei mäßigem Ost-Passat absolut ruhig in einer Lagune vor Anker - : vor dem Nachspannen der Oberwanten unseres Riggs (nach dem Sturm während unserer zehntägigen Überfahrt hierher vor einigen Wochen bemerkte ich eine Neigung des Masts um ein Zehntel Grad nach Steuerbord), sehe ich, beim Peilen entlang der Mastnut, den Mond exakt (!) in Verlängerung des Masts.
Am Abend, gerade ist der Mond im Meer versunken, schaut Orchidee ihrem Vieux Baron nach, wie er ihm zum Horizont folgt, läßt - wie es in klaren Nächten ihre Gewohnheit ist - den Blick über den brillanten tropischen Sternenhimmel schweifen und ruft plötzlich ganz aufgeregt zu mir herein:
„Komm, schau doch mal! Ein Scheinwerfer am Himmel!“
Es ist der passendste Moment, mich in meiner Arbeit am Computer zu unterbrechen. Ich merke schon den ganzen Tag, daß etwas ganz besonderes in der Luft liegt, daß ich der Lösung eines Problems ganz nahe bin. Just in diesem Augenblick - für mich der Höhepunkt des Tages, ach was sage ich, der Höhepunkt der letzten Jahre - habe ich herausgefunden, was dieses 'ganz besondere' ist. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkommt mich. ...
Natürlich möchte ich meine Freude teilen, interpretiere auch Orchidees Ausruf als ihr dringendes Bedürfnis nach Kommunikation. Also beschließe ich, die Sache morgen fortzusetzen. Den entscheidenden Gedanken habe ich festgehalten, er entkommt mir nicht mehr. Es dauert eine Minute, bis alle Daten gespeichert sind, das Programm geschlossen und der Rechner bereit zum Ausschalten ist. 21.24 Uhr Ortszeit lautet seine letzte Meldung.
Draußen, am nordöstlichen Himmel, zwischen Benetnasch, dem vordersten Deichselstern des großen Wagens und Arcturus im Sternbild Bootes, steht ein diffuser Lichtfleck, von dem aus ein scharfer Strahl ausgeht, tatsächlich wie ein Scheinwerfer, leicht nach Osten konkav gebogen, der bis zum Sternbild Jungfrau zu verfolgen ist - über 40°! Wir haben schon viele ungewöhnliche Erscheinungen am nächtlichen Himmel gesehen, Satelliten mit viele Kilometer langen Ausläufern, Meteoritenschauer mit weit über hundert Sternschnuppen - am nächsten Tag fanden wir winzigste Eisenkügelchen an Deck -, einen alles erhellenden grellgrünen Feuerball, der nach Farbwechsel zu gleißendem Rosa nicht weit von uns bei der Insel Marie Galante ins Meer stürzte oder zum Beispiel ein imposantes Feuerwerk in der hohen Troposphäre, das nachträglich als explodierende Raketenstufe nach mißglücktem Ariane-Start zu identifizieren war - wir waren damals zufällig in den Gewässern nördlich von Französisch Guayana -, doch dieser Scheinwerfer verblüfft mich wirklich. Ist es ein Satellit, der seinen radioaktiven Brennstoff verliert? Nein, das kann nicht sein, der Lichtfleck ist ortsfest und geostationäre Satelliten gibt es nur über dem Äquator. Ein Hubschrauber? Der müßte allerdings recht nahe sein und wäre zu hören. Es muß ein astronomisches Objekt sein.
Ein Komet! Wir sehen ein Prachtexemplar von Kometen! Ein Jahrhundertereignis! Heute! Heute, nach so vielen Besonderheiten und Erlebnissen! Vor fünf Minuten ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, wie Gravitation verblüffend einfach in meinem Dorntorus-Modell - das ist eine nicht-lokale Theorie der Raum-Zeit-Struktur und damit auch der Elementarteilchen und deren Wechselwirkung - enthalten ist ( dieser Brief soll, wie Du sicher sofort errätst, u.a. davon handeln ), und jetzt sehen wir ein solch seltenes Musterbeispiel für Gravitationswirkung! Mein Glücksgefühl von soeben wandelt sich in helle Aufregung. Minutenlang starre ich durch das Nachtglas, merke mir die genaue Position anhand der umliegenden Sterne.
Zwei Stunden lang suche ich im Kurzwellenempfänger nach irgendwelchen Nachrichten oder Hinweisen bis mir klar wird, daß die zivilisierte Welt ja längst das Ereignis in den Medien breitgetreten hat und zur Tagesordnung übergegangen ist. Wir sind hier nahezu völlig abgeschnitten von Informationen, sind an kein Internet angeschlossen, haben seit drei Monaten keine Zeitung gesehen und die Auswahlkriterien für Wichtigkeit von Nachrichten und Reportagen bei der Deutschen Welle lassen uns mindestens einmal täglich die Zähne knirschen.
Nach diesen zwei Stunden vergleiche ich die neue Position des Kometen mit der gemerkten. Mit Hilfe genauer Sternkarten und schneller Überschlagsrechnung schließe ich: der Komet ist ca. 25 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, nähert sich noch, wird in 3 Tagen senkrecht über der Erdbahn stehen und in sicherem Abstand 'hinter' der Erde (bezogen auf ihre Umlaufbahn) vorbeiziehen. Aus der Zwei-Punkt-Messung (0,7°) ist bei dem flachen Winkel zur Ekliptikebene nicht sicher abzuleiten, ob der Komet vor oder hinter der Sonne auf die andere Seite dieser Ebene überwechseln wird. Die nächsten Tage werden es zeigen. Ich tippe vorab - es kommt auch meiner bildlichen Vorstellung der Situation näher - auf ersteres. In diesem Fall wird er die Sonne länger begleiten (von der Erde aus gesehen, dann natürlich unsichtbar) mit der Chance, daß er am 31.Mai auf einer bemerkenswerten Linie stehen wird: Erde - Sonne - Komet - Vieux Baron.
Ohne Zugang zu entsprechender Information werde ich dies allerdings nie genau erfahren, aber mir einfach einbilden, daß es so ist! Zwar bin ich - wie auch Du - kein Freund von Metaphern, wenn diese als Argument benutzt werden, das Wortspiel sei erlaubt: Ohne (umfassende!) Zustands-Reduktion ist sowohl jede Messung als auch die gesamte Konstellation nur willkürliches Modellbild der Realität.
Um 23.55, als letzte Tat dieses Tages, beginne ich diesen Brief. ...
Du wunderst Dich, daß ich mich in einer solchen Situation gleich hinsetzte, einen Brief zu schreiben? Stimmt, eigentlich passt es nicht zu mir, schreibfaul und wenig kommunikativ wie ich bin. Doch das Zusammentreffen so vieler außergewöhnlicher Dinge an einem einzigen Tag ist so überwältigend, so unglaublich, daß ich einfach dem Bedürfnis nachgeben muß, jemandem davon zu erzählen. Und was liegt näher, als einen guten Freund an meinen Erlebnissen und an der weiteren Entwicklung einer spannenden Sache, die heute ihren Anfang nimmt, teilhaben zu lassen? Und außerdem und vor allem: ich stehe ja im Wort!
Ich habe am Briefkopf den normalerweise üblichen Standort und das Datum weggelassen. Mit Absicht. Ob Du wohl im australischen Fast-Outback über die notwendigen Informationen verfügst, beides aus obigen Angaben zu ermitteln? Großen Atlas, Astronomieliteratur und Beweise Deines brennenden Interesses an Dingen, die auch mich beschäftigen, habe ich ja in Deiner beeindruckenden Bibliothek - damals in Korsika - entdeckt und Dich als äußerst sachkundigen und gewitzten Gesprächspartner zu schätzen gelernt, der mir einiges voraus hat. Betrachte es als kleine Revanche für die „Denksportaufgabe“, die Du mir stelltest. Du erinnerst Dich?
Leichtfertig versprach ich, darüber nachzudenken, die notwendigen Recherchen einzuholen in den mir zur Verfügung stehenden Quellen und Dir, sobald ich die Lösung gefunden habe, zu berichten. Nun - ich habe nachgedacht, einige Jahre, ich habe die Lösung, und seit gestern weiß ich, daß es die richtige ist. Ein Tag ist inzwischen vergangen, seit ich umgehend, noch vor Mitternacht, „Cher Michel“ zu Papier brachte. Der weitere Text wird mich Monate kosten. ...
Mein zweites Versprechen, Dich in Deiner neuen Heimat zu besuchen, habe ich / haben wir - Orchidee und ich - ebenfalls schon bald nach Erhalt Eures Briefes von dort in Angriff genommen. Wir haben unser kleines gelbes Boot, das Du von den korsischen Gewässern kennst, verkauft, ebenso Auto, Wohnmobil, die Cessna Cardinal, tausend andere Dinge, Haus und Hof. Vor vier Jahren haben wir erst Deutschland, dann Korsika verlassen - seit vier Jahren sind wir unterwegs zu Euch.
Übrigens - Deine Absenderangabe hat mir einen angenehmen Schauer mit Gänsehaut über den Rücken jagen lassen: Habe ich doch schon im September 1981, also lange, bevor wir uns kennenlernten, Deine neue Farm am Fuße des Mount Beerwah intensiv in Augenschein genommen, von oben, vom Gipfel aus. Mount Beerwah war der einzige Berg in ganz Australien, den ich damals bestieg. Unwiderstehlich hatte er mich in seinen Bann gezogen, hatten mich seine schroffen Basaltwände herausgefordert. Den Lohn der Mühe, den Blick über das weite Queensland, genoß ich stundenlang. Warst Du schon oben, Michel?
Für unsere jetzige Reise haben wir ein recht langsames Verkehrsmittel ausgewählt. Es hat außerdem die hinderliche Eigenschaft, überall dort, wo es besonders schön ist, haltzumachen. Gleich nach der Atlantiküberquerung wollte es sich partout von Tobago nicht mehr weiterbewegen und fast wäre es uns in Form von Eintausch gegen ein Stück Tropenland abhanden gekommen. Eineinhalb Jahre genossen wir die bezaubernd schöne Insel. Doch ich veränderte mich, spürte deutlich das Nachlassen meiner Kreativität. So, wie wir beim Beladen des Schiffes - immer mit einem Auge auf Segeleigenschaften - kritisch abwägen, welche verzichtbaren Pfunde draußen bleiben oder wieder von Bord müssen, war ich stets bemüht, meinen Vorrat an Assoziationen von schädlichem Ballast zu befreien, Raum für weiteres Ausschwingen aktueller Gedanken freizuhalten und intensiveres Gegenwartserleben dadurch zu erreichen. Doch es gelang mir nicht mehr.
Auch die Insel ist - leider - im Begriff, sich zu verändern. Wenn ich die Entwicklung des Tourismus in den letzten Jahren extrapoliere, sehe ich sie innerhalb kürzester Zeit sehr angeglichen an die übrigen Inseln der kleinen Antillen. Ich war ganz und gar nicht unglücklich darüber, daß unsere paar ausgewählten Grundstücke sich als nicht ohne weiteres käuflich erwiesen und unternahm keine großen Anstrengungen, andere zu suchen. Auch Orchidee nahm in einem psychischen Gewaltakt Abschied von dem Gedanken erneuter Seßhaftigkeit, und wir waren beide wieder ganzen Herzens auf dem Schiff zuhause, stellten uns auf weiteres Nomadenleben ein. Mir fehlte auch wirklich nichts ohne ein Stück Land, das ich bebauen und bearbeiten müßte. Du kennst es ja zur Genüge: man hat tausend Gedanken und Ideen, die man ganz ungestört verfolgen möchte und dann ist man den größten Teil des Lebens mit Organisieren desselben beschäftigt. Nein, ich ziehe es vor, meine Reise fortzusetzen - Segeln ist Inspiration! - und die einsamen Freuden des Entdeckers (meiner Welt) zu genießen.
Wobei wir schon mitten im eigentlichen Thema, in meiner Welt der Dorntori, sind. (Was das ist, werde ich weiter unten noch zur Genüge erläutern!) Ich sitze hier unter dem Sonnensegel, im Kopf spielen sich die spannendsten Abenteuer ab, und ich mache eine fantastische Reise: Ich verfolge den Weg eines Photons aus großer Ferne durch den Torusraum, sehe Rotverschiebung und Expansion in völlig neuem Licht, finde mich plötzlich in der Hülle des „hohlen“ Elektrons wieder, tauche ab in die hier beginnende wirbelnde Lissajous-Welt stehender Wellen auf Dorntorus-Oberflächen, die sich aus dem Chaos der Strudel herauskristallisieren, entdecke den Ort und die Entstehung der Elementarladung, lerne im Vorbeirotieren das Wesen des Neutrons zu verstehen - Isospin wird nebenbei ganz selbstverständlich - und dann - ohne umzusteigen - blicke ich in das Innere des Protons. Nein, mehr als das: die Selbstähnlichkeit aller rotierenden und abrollenden Dorntori erlaubt sogar die Weiterreise ins infinitesimal Kleine! Deutlich fühle ich beim Annähern an die nächste Lissajous-Figur das „Einrucken“ weiterer Ladungen (Quarks - tatsächlich Drittel-Ladungen! -, Farbladungen, Strangeness, weitere Quarks) und die kurze Reichweite deren Wirkungen. Alles wird so unglaublich klar und einfach. Ich sehe förmlich, wie Photonen und andere Austausch-Bosonen in den Lücken zwischen den stehenden Wellen an ihnen zugeordneten Teilchen, d.h. in Rotationsfrequenz und Geometrie zu ihnen passenden Lissajous-Figuren ankoppeln.
Was ich bisher über Physik gelernt habe, sind Rechenrezepte und Anleitungen zum Angehen bestimmter Probleme, nie das, was ich mir immer versprochen hatte. Der formale mathematische Weg gab mir nie das Gefühl von Naturverständnis, geschweige denn eine Ahnung von Raumstruktur. Jetzt, glaube ich (eigentlich weiß ich es bereits), bin ich auf dem richtigen Weg, zumindest, was die qualitative Vorstellung angeht. Wenn ich jetzt meine - erzkonservativen - Bücher über Quantenphysik durchblättere oder auch modernere über QCD und Symmetriebetrachtungen, habe ich ständig Torus-Assoziationen, dauernd macht's „klick“ und es geht mir durch den Kopf: „Klar doch, so muß es sein“ oder: „Nein, mein Lieber, die Sache verhält sich anders“ bis zu: „Leute, warum macht Ihr's Euch so schwer, alles ist doch ganz einfach“, wenn ich auf manchmal verzweifelt an den Haaren herbeigezogene Erklärungsversuche stoße.
Für mich ist es unheimlich befreiend, den mit zahllosen Stolpersteinen gepflasterten Weg der mathematischen Physik vorerst nicht mehr beschreiten zu müssen. Da ich mich schon in Torusdimensionen bewege, brauche ich die Symmetriegruppen des Standardmodells nicht. Auch ohne Gruppentheorie sehe ich, wie das Neutron beim Zerfall neben Proton und Elektron ein Elektron-Anti-Neutrino „emittiert“ und daß der Prozeß nicht spiegelsymmetrisch sein kann, füllt doch das gebundene Neutron in meinem Bild nur den halben Raum, hat dafür beim „Austreten in den umgebenden Raum“ als Abroll-Geschwindigkeit sozusagen die doppelte Lichtgeschwindigkeit und kann dies nur mit einem Antiteilchen ausgleichen, das mit negativer Lichtgeschwindigkeit, also entgegengesetzt, abrollt. Die einfachen Teilchenprozesse habe ich nachgeprüft - meine Bilder scheinen zu stimmen. Masse erhalten meine Tori auch ohne Eichtheorien, ohne Lagrange-Funktionen und ohne Higgs-Mechanismus. Auch im makroskopischen, also elektromagnetischen, Bereich häufen sich meine Aha-Erlebnisse. Ich beginne, Grundlagenphysik zu verstehen. Und seit dem Tag des Kometen fügt sich Gravitation ganz zwangsläufig in dasselbe Bild ein. - Aber, ich weiß, ich spreche in Rätseln. Deswegen erst ein paar einleitende Worte - auch zu meinen Motivationen.
Weltbild
Bemerkung: Folgende Betrachtungen über Weltbild, Naturverständnis und Denkengramme habe ich aus Aufschrieben herauskopiert, die viele Jahre alt sind. Die trockene Formulierung ist Ausdruck meiner damaligen Einbindung in die sturen, rückkopplungsbedingten Verhaltensmuster, aus denen nur schwer auszubrechen ist. Als Dokumentation lasse ich sie weitgehend unverändert. Inzwischen bin ich ausgebrochen, würde heute anders formulieren, doch wesentlich ist der Inhalt. Zu dem stehe ich!
Das Naturverständnis des Physikers orientiert sich an einer Realität, die sich grundlegend unterscheidet von dem Bild, das wir uns mittels unserer Sinne und Erfahrungen von den Dingen der „uns umgebenden“ Natur machen. Viel Hochkarätiges zum Thema wurde schon geschrieben, aber auch viel hanebüchener Unsinn, alle denkbaren Gedanken sind schon gedacht und ich will deshalb keine weiteren philosophischen Auslassungen über den Realitätsbegriff hinzufügen. Du findest in Deiner reichhaltigen Bibliothek mehr als genug lesenswertes - und auch weniger lesenswertes, hast vermutlich längst die Nase voll von dem Gesabber. Meine einleitenden Ausführungen dienen lediglich der Festlegung eines weltanschaulichen Standorts, der notwendig ist, um überhaupt einen Bedarf zu sehen für eine andere Sichtweise der Realität und insbesondere der Struktur von Raum und Zeit.
Aus philosophischer Sicht ist eigentlich längst klar, daß die Großen Physikalischen Theorien, insbesondere die Quantentheorie, irgendwie erweitert, verändert oder in ein übergeordnetes Prinzip eingebettet werden müssen. Zu viele Rätsel, nicht erkennbare Zusammenhänge, Inkonsistenzen und Widersprüche, Kontrafaktizitäten, sind in der Gesamtheit der Theorien enthalten. Denke an die Schwierigkeiten, eine die Gravitation einschließende relativistische Quantenfeldtheorie zu erstellen - ihr Wesen ist im Grunde überhaupt nicht erfaßt! -, an die Probleme der Nichtlokalität, EPR-Experimente, damit zusammenhängende Quantenverschränkung (Korrelation), die unbefriedigende Interpretation der Reduktion des Zustandsvektors im Hilbert-Raum bei einer Messung im Quantensystem, insbesondere die mit wechselwirkungsfreien Messungen tatsächlich verknüpften Folgerungen, aber auch an die ungeklärte Rolle der Zeit, des 'Zeitpfeils', den damit verbundenen Fragen der Kausalität - auch in der klassischen Ebene, ganz zu schweigen von den vielen experimentell eindeutig belegten Phänomenen, die durch die Theorien nicht abgedeckt sind, von der Willkürlichkeit mancher Annahmen, den strengen Randbedingungen ohne irgendeine Entsprechung in der Theorie und von den vielen frei wählbaren oder nur empirisch bestimmbaren Parametern.
Menschliche Realität als Einbettung in die Umwelt, in das soziale Umfeld, in die Kette von Wechselwirkungen zwischen Individuum und umgebender Natur ist hier nicht Gegenstand meines Interesses. Eigenschaften der Natur, „Naturgesetze“ oder Bedeutung physikalischer Größen will ich zunächst auch nicht diskutieren. Ich möchte versuchen, mein Weltbild dort beginnen zu lassen, wo die Natur noch keine apriori-Eigenschaften hat, wo der Begriff „Eigenschaft“ nur eine Aufspaltung des eigenschaftslosen Nichts bedeutet, Eigenschaft nur die Fähigkeit der Realität ist, sich beschreiben zu lassen und wo nicht die - meist unerkannte - Gefahr besteht, Gesetze als mathematische Transformationen innerhalb illusionärer Strukturen zu formulieren. (Philosophen reden gerne von Entitäten - ich meine ein klein wenig etwas anderes. Ich gehe noch einen Schritt zurück.)
Auf diese niedrige Stufe hinabzusteigen, bedeutet viel Verdrängungsarbeit. Alles, von dem man glaubt, es verstanden zu haben, muß beiseite geschoben werden, um dann in späteren Schritten vielleicht wieder in den evolutiv entstehenden Realitätsbegriff eingebaut zu werden. Diese Evolution verläuft in zwei Richtungen. Einmal, ausgehend von menschlichen Engrammen und komplexen apriori-Eigenschaften der Natur mit vielen unabhängigen Naturgesetzen und vielen Naturkonstanten, durch allmähliche Reduktion der konzeptionellen Voraussetzungen bei der Realitätsbeschreibung über pure mathematische Modelle und apriori-Eigenschaften des Raumes, in dem sich die Natur abspielt, zu möglichst wenigen übergeordneten Prinzipien, vielleicht nur einem einzigen, und einem von Engrammen völlig abstrahierten Raum, in dem der Begriff „Eigenschaft“ der Grundbaustein zur Realitätsbeschreibung ist. Dann - die zweite Richtung - zurück zur Komplexität mit Hilfe von Deutungen dieser Eigenschaften. Auf beiden Wegen stößt man auf die Einsicht in die Unmöglichkeit, die Vielfalt der Wechselwirkungen und Rückkopplungen in einem einheitlichen Gesamtbild jemals vollständig beschreiben zu können. „Verständnis“ - verstanden haben - kann nur individuelles Gefühl sein. Nichts macht mich sicher, daß mein Verständnis der Naturgesetze, wie begründet und verbreitet auch immer, nicht neuen Einsichten Platz machen muß.
Wenn ich trotzdem den Begriff Naturverständnis verwende, meine ich immer die letzte und höchste Stufe eines evolutiv entwickelten, selbstkonsistenten Weltbildes, also eines Abbildes, eines Modells der umfassenderen Realität. Die Realität selbst ist nach meiner Überzeugung nicht erfahrbar, dazu sind die Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Objekt des Bewußtseins als Teil der Realität zu komplex. Ich begnüge mich mit einem Weltbild, Realität relativierend. Um dieses Weltbild in eine konkrete Form zu fassen, um vage Ahnungen, diffuse Vorstellungen und spontane Einsichten zu kanalisieren, um mich selbst - eher dem Müßiggang zugeneigt - zu disziplinieren und um Widersprüchlichkeiten eigener Gedanken im feedback zu beheben, auch deshalb schreibe ich diese Zeilen.
Natur-Verständnis
„Naturverständnis“ ist ein Reizwort für mich. Jeder Versuch, den Begriff in eine Definition zu zwängen, scheitert. „Natur“ ist semantisch hoffnungslos aufgefächert und auch von „Verständnis“, von verstanden haben, gehen die Auffassungen weit auseinander. Man erlebt dies allzu deutlich bei Diskussionen über gerade aktuelle Schlagworte. (Je weniger Verständnis, desto mehr Diskussion - aber Wissenschaft lebt durch Diskussion! Und Diskussionen - zumindest in hinterer Front - leben von Schlagworten.) Schlagworte erhalten ihre Macht durch Verbreitung, nicht durch Inhalt. Sie erleben eine Euphorie des Verstandenwerdens, werden benutzt, Brücken zu schlagen über Unverständliches zu Nichtverstandenem, schaffen vage Ahnungen, - aber Naturverständnis ? - Urknall, Inflation, Chaos, Fraktale, ... - mehr als Ahnung? - Große Vereinheitlichung, Supersymmetrie, Superstrings, theories of everything? - theories of everyone!
Natürlich muß es einen Konsens geben in der Wissenschaft über bereits Verstandenes (Fußnoten sorgen für Verbreitung und Bekräftigung), muß streng getrennt werden zwischen rein Spekulativem und von der Mehrheit Akzeptiertem (und damit Verstandenem?). Aber gerade manchem Naturwissenschaftler, der glaubt, seine Virtuosität im Umgang mit all diesen mathematischen Modellen der Natur bedeute Erkenntnis, mangelt es womöglich an Naturverständnis. Nach dem langen, mühevollen individuellen Weg zum Verständnis der Sprache, die Generationen von Wissenschaftlern zur Naturbeschreibung erarbeitet haben, ist er leicht geneigt, seine Fähigkeit zum Mitreden mit Einfühlung in das übergeordnete Gesamtsystem Realität zu verwechseln. Und reine Phänomenologie, - so faszinierend sie ist, sicher wert, sie zum Lebensinhalt zu machen, - Phänomenologie der Naturgesetze ist kein Natur-Verständnis!
Wirken doch die Standardmodelle irgendwie zusammengeschustert, als sei der weichlederne theoretische Stiefel paßgenau über die harte experimentelle Datenmasse gestülpt, hier ein wenig gedehnt, dort ein bißchen gedrückt, an Engstellen etwas hinzugefügt, Überstehendes weggenommen. Folge ist: sie alle lassen einfache Naturprinzipien vermissen - und der Experte beteuert seit Jahrzehnten, daß es diese Prinzipien gar nicht geben kann. Nun, ich bin den eingefahrenen Methoden der Lösungswege nicht verhaftet, weil ich sie glücklicherweise nie anwenden mußte, habe aber doch das Problembewußtsein der Naturwissenschaften ein wenig erlernt und mir den Glauben an die „Einfachheit“ der Naturgesetzte bewahrt, sehe deshalb den ganz dringenden Bedarf für ein philosophisch befriedigendes Modell, das nicht pragmatisch anwendungsbezogen sein muß, das aber die Zusammenhänge aller grundlegenden Naturgesetze aufzeigt, auf „einfache“ Prinzipien zurückführt und sich letztlich auf ein einziges übergeordnetes Prinzip reduziert.
Viele Zweige moderner Physik, speziell Hochenergiephysik und damit verbundene Vereinheitlichungstheorien, geben uns immerhin deutliche Hinweise, daß wir den Rahmen, in dem sich Natur abspielt, selbst in die Naturbeschreibung mit einbeziehen können und daß wir vielleicht eines Tages keine Wahrnehmung von Naturerscheinungen mehr als apriori-Eigenschaft hinnehmen müssen. Diese Hoffnung zu nähren, ist der große Verdienst von Forschung in aufwendigen Labors, nicht die immer größer werdende Zahl gefundener „Teilchen“, auch wenn sie noch so gut die ausgeklügeltsten Theorien „bestätigen“. Materie und Wechselwirkungen, Raum- und Zeitbegriff als Äußerung eines einzigen übergeordneten Prinzips erkennen zu lernen, halte ich für das große Abenteuer, nicht das Spielen mit gigantischer Technik. Entsprechend geht in meine ganz persönliche Definition von Naturverständnis als wichtigster Punkt ein, in jedem Phänomen dieses eine Prinzip wiederzuerkennen, Universum und seine Bausteine, Kosmologie und Elementarteilchenphysik nicht mehr zu unterscheiden - nicht ausführliche Antworten parat zu haben auf die vielen Fragen, wie Natur nach unseren Maßstäben denn nun funktioniert. Ein so mächtiges Prinzip zu vertreten, klingt verdächtig nach Religiosität oder sonstiger Mystik. Jedoch - zur Klarstellung vorneweg - nichts liegt mir ferner! Nichts ist mir mehr zuwider als Metapher-Kausalitäten, als Analog-Schlüsse und daraus womöglich abgeleitete „Heilslehren“. Ich verstehe sie einfach nicht.
Ein Stückchen Weges zu dem angestrebten Ziel, so bin ich inzwischen überzeugt, habe ich mit meinem Bild von den Dorntori zurückgelegt. Zwar übe ich mich oft in Selbstkritik, da ich weiß, wie leicht man einer fixen Idee aufsitzen kann, habe auch manchmal ernste Zweifel, wenn alles so simpel und mühelos - geradezu peinlich einfach - zusammenpaßt, gerate aber jedesmal erneut in Euphorie, wenn ich in der unerschöpflichen Quelle der Dorntorus-Wechselwirkungen neue Gesetzmäßigkeiten entdecke. Aus dem ausschließlichen und anschaulichen Prinzip der abrollenden Dorntori (Geduld! Ich werde gleich beginnen, dies zu erläutern) folgen zu viele Gesetzmäßigkeiten, die mit real existierenden Phänomenen assoziiert werden können, als daß es nicht irgendeine interpretationswürdige Bedeutung haben könnte: Das Standardmodell mit Quantenchromodynamik ist - zumindest zunächst qualitativ - möglicherweise komplett enthalten und darüber hinaus sind dort unbekannte Mechanismen erklärbar und evident, von der Quantisierung der Ladungen (in Eichtheorien ja völlig ungeklärt) bis hin zur Mischung der Quarks bei den Dupletts der schwachen Wechselwirkung. Isospin, Strangeness, Drittelladungen (auch Flavour, Farben usw.), selbstverständlich quantisierte Energie gebundener Zustände, die Ankopplung Boson/Fermion, selbst das Pauli-Prinzip werden augenfällig. Spezielle Relativitätstheorie gewinnt Anschaulichkeit, Grenzwert Lichtgeschwindigkeit und alle Transformationen für massive Teilchen und Körper werden frappierend klar, Probleme mit Zeit, „Pfeil der Zeit“ und Kausalität lösen sich in Wohlgefallen auf, Entropie wird ziemlich überflüssiger Begriff, mit Spin läßt sich leicht jonglieren (Riemannsche Zahlenkugel hat ausgedient), EPR-Experimente verlieren - hokuspokus - ihre Paradoxie, das Wesen physikalischer Größen wie Energie, Impuls, Kraft erhält völlig neue Qualität, frei von den unüberlegten Selbstverständlichkeiten in der gewöhnlichen Vorstellung davon, und, und, und ...
Aber alles der Reihe nach, bevor ich mich hier mit Aufzählungen überschlage. Entschuldige bitte, irgendwie möchte ich Dir eben meine Begeisterung rüberbringen! - Bleibe ich also nüchtern, doch laß mich ein letztes Mal noch ausholen:
Engramme
Gängige Theorien über den Aufbau der Welt, sowohl im Großen als auch in Bereichen weit unterhalb der dreidimensionalen Ausdehnung von Elementarteilchen, sind als Quantenfeldtheorien formuliert. Mathematische und experimentelle Erfolge lassen diese Betrachtungsweise auch als die richtige erscheinen. Anwendungsbezogen ist sie es zweifellos. Bei philosophischem Hinterfragen können jedoch immer noch gewisse Zweifel aufkommen, und mancher Physiker hat wohl ein unbehagliches Gefühl, wenn er das allgemein akzeptierte und erfolgreiche Modell als adäquate und ausreichende Beschreibung der Realität wertet. Zu viele erkenntnistheoretische Lücken und Unstimmigkeiten sprechen dafür, auch andere Möglichkeiten der Naturbeschreibung zumindest nicht auszuschließen. Nicht nur allmähliches Modifizieren der Theorien und nicht nur die Suche nach weiteren Lösungen der im Prinzip bekannten Feldgleichungen, versprechen, ein konsistentes Gesamtbild der Realität zu ergeben; es könnte auch sein, und es scheint sogar, daß wir uns radikal andere Vorstellungen vom Wesen physikalischer Größen und Strukturen aneignen müssen, um zu einem philosophisch befriedigenden Modell der Welt zu gelangen.
Unsere Vorstellung von Raum und Zeit und damit von allen erfaßbaren Erscheinungen der Natur beruht auf Eigenschaften des menschlichen Verstandes. Sie ist ausreichend, biologische Erfordernisse zu erfüllen, aber ungenügend, ja hoffnungslos ungeeignet, die Grundlage für ein tiefes Verständnis der physikalischen Realität zu bilden. Begriffe wie Punkt, Entfernung, Richtung, Zeitablauf wecken in unserem Bewußtsein Assoziationen, die jedermann mitteilbar, allgemein verstehbar, im eigentlichen Sinne selbstverständlich sind. Diese natürlichen Assoziationen sind verwurzelt in anatomisch-physiologischen Großhirnstrukturen, dem - immer noch unbekannten - Substrat des menschlichen Bewußtseins und dessen Funktion, sowie in den Engrammen der Denkabläufe. Sie - eben diese Assoziationen - machen den „gesunden Menschenverstand“ aus.
Selbst dem Physiker, der gelernt hat, von einem Großteil der Engramme zu abstrahieren, ist es unantastbar selbstverständlich, den Raum in drei Dimensionen zu beschreiben: vorn/hinten, links/rechts, oben/unten. Zwar verdecken wir den offensichtlichen Bezug zum eigenen Körper, indem wir dieses 'anthropozentrische' Koordinatensystem verschieben, drehen, verzerren und auf die Zeichenblattebene projizieren, aber die Idee vom „Raum um uns herum“ bleibt dabei unverändert. Zwar erweitert der Physiker einleuchtend und mit hohem Gewinn an Verständnis zur vierdimensionalen Raumzeit, führt eine dynamische Geometrie in Form von Raumkrümmung ein, erfindet verborgene Dimensionen und untersucht allerlei topologische Raffinessen, immer jedoch ist unser gewohnter dreidimensionaler Raum eingebettet in das Gesamtsystem, erkennbar an der stets vorhandenen Möglichkeit, alle physikalischen Größen „in der Umgebung eines Punktes“ auf Felder zurückzuführen, die wiederum gemäß ihrer Definition den bekannten Raum als Träger oder als Parameter für Änderung von Feldgrößen erfordern.
Die Natur ist komplex - ohne Frage, aber vielleicht ist es nicht die Komplexität der Naturgesetze, sondern vielmehr die Einfachheit des dreidimensionalen Raumes - einfach im Sinne von kongruent mit unseren Engrammen -, die als Preis für Vorstellbarkeit diesen so ungeheuer komplizierten Formalismus zur Beschreibung der meßbaren physikalischen Realität erfordert. Vielleicht ist es genau diese Einfachheit, die zur Folge hat, daß wir Teilaspekte der Realität überhaupt nicht verstehen oder - was dasselbe ist - daß wir Annahmen und Parameter einführen müssen, Größen und Gesetze durch „Naturkonstanten“ eichen müssen, um die Beschreibung den Wahrnehmungen und Messungen anzupassen.
Der Raum unsere Vorstellung basiert ausschließlich auf Sinneseindrücken, deren neuronale Verarbeitung und schließlich der Funktion des Bewußtseins. Alles, was wir über den „Raum“ wissen, alles, was an Kommunikation darüber stattfinden kann, sogar alles, was die abstrakte Mathematik dazu liefert, sei es vorstellbar oder nicht, alles ist der Informationsverarbeitung durch unser Bewußtsein unterworfen. Auch elektronische Datenverarbeitung und künstliche Intelligenz sind nur scheinbar eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Informationsgewinnung. Alle Ergebnisse erreichen unser Bewußtsein genau wie die primären Wahrnehmungen nur, wenn sie puzzleartig mit bestehenden Engrammen zur Deckung zu bringen sind, ganz bestimmte einfache Bedingungen erfüllen, kongruent sind mit angeborenen Denkstrukturen oder zumindest in irgendeiner Form abbildbar sind auf ein menschliches Großhirn, z.B. Eigenschaften, die als Paare von Gegensätzen auftreten. So ist die Realität nur die Summe der Eigenschaften, die das Bewußtsein aus den - vielleicht unendlich vielen - möglichen Eigenschaften des Universums herausfiltert. Man könnte sogar behaupten: Realität in ihrer beobachtbaren, beschreibbaren und vom Menschen verstehbaren Form existiert nur durch unser Bewußtsein. Ein anderes Bewußtsein, das irgendwelche anderen Eigenschaften als unsere gewohnten, vorwiegend aus dualen Gegensätzen bestehenden, herausfiltert, lebt im selben Universum in einer vollkommen anderen Welt. Beide Realitäten durchschneiden einander überall, aber nur ein Bewußtsein, das Eigenschaften aus beiden Welten erkennt, sieht einen Zusammenhang. Uns ist ein Hinaustreten in andere Welten durch die Beschränktheit der Sinne verwehrt. Diese Einsicht stellt den Naturwissenschaftler auf den Standpunkt: Realität ist das, was beobachtet, gemessen und erforscht werden kann. Anderes existiert nicht. - Aber ich schweife ab in ein Thema, zu dem ich doch gar nichts hinzufügen wollte! Nur noch dieses - zum Abschluß:
Wer sein Fachgebiet eingebettet in ein Gesamt-Weltbild betrachtet, muß bekennen: Meine Realität ist eingeschränkt, - eingeschränkt durch die Abbildbarkeit von Eigenschaften auf mein Bewußtsein. Zwar sind diese Eigenschaften real existent und formen zusammen mit den Eigenschaften des Bewußtseins selbst ein Modell des ursprünglichen Definitionsbereiches der Abbildung, doch unsere Realität ist nur Teilmenge des Wertevorrats der inversen Abbildung. Wir leben in einem winzigen Ausschnitt des Universums, identifizieren pure, ausgewählte „Eigenschaften“ mit realen Dingen, erkennen nur, was biologisch relevant oder davon abgeleitet ist und konstruieren aus diesen wenigen uns zur Verfügung stehenden Daten ein Bild der Welt, das immer unvollständig sein wird.
Natürlich kommen wir gut zurecht, nur dürfen wir nicht den selbstverständlichen Anspruch erheben, daß alles nach unserer Logik abläuft und - noch wichtiger - daß genau unsere ausgewählten apriori-Eigenschaften des Raumes und der Zeit unumstößlich gültig sind. Manche Fragen dürfen wir eben nicht stellen, solange wir keinen Ersatz für solche Eigenschaften haben. Sie in den Methoden der Naturbeschreibung aufzuspüren und eventuell als vermeidbare Engramme zu entlarven, könnte ein erster Schritt sein in die Richtung, die vielleicht zu einer breiteren, allgemeineren Basis für ein Naturverständnis führt - wenigstens nach meiner Definition.
Jetzt aber Schluß mit dem allgemeinen Geschwafel! Werden wir ein wenig konkreter und greifen ein paar typische Engramme heraus: Schon der einfachste physikalische Meßvorgang, die Bestimmung einer Länge, beruht auf einem Irrtum. In herkömmlicher, aber völlig willkürlicher Weise messen wir den Koordinatenwert einer Dimension durch mehrfaches „Hintereinanderlegen“ eines bestimmten Teils dieser Dimension, definieren diese also durch sich selbst. So trivial ist es nun eben nicht, daß wir keinen Gedanken darüber verlieren bräuchten. Die Längenmessung ist vielmehr ein äußerst komplexer physikalischer Vorgang, der bereits die Definition nicht nur einer Dimension voraussetzt. Die zu messende Koordinate muß mit einem Abschnitt einer anderen Dimension verglichen werden, wobei natürlich dieser Abschnitt schon definiert und gemessen sein müßte. So geht es also nicht. Das Problem ist mit unseren Engrammvorstellungen von Raum auch nicht befriedigend lösbar. Die „gerade Linie“ ist eine zu starke Idealisierung und nur mit Rückgriff auf komplexe Vorgänge, z.B. die Lichtausbreitung, überhaupt definierbar, d.h. Raum, seine Geometrie und die Naturgesetze müssen schon vor der Definition des Grundelements - der Dimension - bekannt sein! Gibt es einen größeren Widerspruch? Bereits diese einfache Aufgabe der Längenmessung stößt uns bei einigem Nachdenken auf die Forderung, daß Raumkoordinaten nicht „linear unabhängig“ voneinander sein können. Die Einbeziehung der Zeit in den Meßvorgang ändert ebenfalls nichts daran, im Gegenteil, man erhält einen weiteren Hinweis auf die untrennbare Abhängigkeit der Dimensionen voneinander: Jede Blickrichtung im Raum ist zugleich Blick in zeitliche Vergangenheit, d.h. Raumrichtung und Zeit sind von jedem Punkt aus betrachtet parallel, also sicher nicht linear unabhängig. (Oh doch, Relativität habe ich sehr wohl verstanden!)
Ein weiteres Beispiel für Engramme betrifft Bewegungsvorgänge im Raum. Gewöhnlich wird mit Bewegung die Ortsveränderung von Materie in Abhängigkeit von der Zeit assoziiert. Aber selbst bei einem materielosen Teilchen hat man dieselbe bildhafte Vorstellung: „Es fliegt durch den Raum“ - mit Lichtgeschwindigkeit. Auch der experimentierende Physiker, der täglich Teilchen auf Targets schießt, muß diese Formulierung als ausgemachten Blödsinn einstufen. Trotzdem hält sie sich und festigt das Engramm vom fliegenden Teilchen. Ebenso verhält es sich mit der kosmologischen Größe „Teilchen pro Kubik-Kilometer“ als Maß für die Dichte des Universums, wobei auch masselose Teilchen wie Photonen und (evtl.) Neutrinos eingeschlossen sind. Gängige Deutungen der Quantentheorie unter Einschluß nichtlokaler Phänomene sollten eigentlich mit solchen Vorstellungen längst Schluß gemacht haben.
Noch ein Beispiel: Im gewohnten dreidimensionalen Raum beinhaltet der Begriff „beobachtbares Universum“ eine Methode der Informationsgewinnung: Ich baue um einen bestimmten Raumpunkt herum eine Meßapparatur von endlicher Ausdehnung auf, taste damit möglichst viele Raumrichtungen ab und registriere die einfallenden, meßbaren Signale. Auf diese Weise erhalte ich eine Projektion von Eigenschaften des Universums auf eine Kugeloberfläche. Die notwendige dritte Dimension ergibt sich nicht durch direkte Messung, sondern indirekt durch Auswertung der Daten mittels schon bekannter Naturgesetze, aber zusätzlich auch durch Anwendung zwar plausibler, doch hypothetischer Annahmen. Diese Vorgehensweise macht den Raum mit meinem Beobachtungsstandort als Mittelpunkt recht unsymmetrisch. Ich muß sphärische Koordinaten benutzen, muß die Entfernung von meinem Standort als besondere Koordinate auszeichnen, muß diese - und nur diese - mit der Zeit als vierten Dimension verknüpfen. „Blickrichtung“ meiner Meßapparatur und Zeit sind damit parallel, also nicht linear unabhängig. Von „außen“ betrachtet läßt sich das System natürlich mathematisch symmetrisieren, die drei Raumkoordinaten sind nach dem Übergang auf rechtwinklige Koordinaten völlig gleichberechtigt und auch die Zeit kann gemäß der Relativitätstheorie so einbezogen werden, daß Symmetrie in vier Koordinaten besteht. Dieser Schritt - Symmetrisierung für alle Koordinaten - ist allerdings in unserem System, in dem es kein „außen“ gibt, in dem der Beobachter immer im Mittelpunkt steht und er seine Naturgesetze immer auf diesen Punkt bezieht, nicht mehr so evident. (Ich stelle hier wohlgemerkt nicht das kosmologische Prinzip in Frage!) Die Selbstverständlichkeit, mit der dennoch ständig so verfahren wird, scheint mir nicht gerechtfertigt.
Die Naturgesetze, mit denen ich die ausgezeichnete dritte Dimension, die Entfernung vom Mittelpunkt meines Universums, mit einer Metrik ausstatte, wurden in Koordinatensystemen gewonnen, die „von außen“ betrachtet werden. Das Problem tritt wohl nicht offen zu Tage, aber ich vermute, daß viele ungeklärte Fragen der Raum- und Teilchenstruktur, z.B. auch Fehlinterpretationen der kosmischen Rotverschiebung, und viele Phänomene, die der Anschauung zuwiderlaufen, gerade mit Selbstverständlichkeiten dieser Art zusammenhängen, daß Mangel an Anschaulichkeit oft verursacht ist durch ein zu großes Maß an Selbstverständlichkeit, das uns den Weg zu nötiger Abstrahierung versperrt.
Und schließlich - warum fragen wir immer (wenn wir von „kompaktifizierten“ Dimensionen absehen), warum der Raum ausgerechnet dreidimensional sei und nicht, ob er dies überhaupt ist. Die angeblichen Beweise für die Zahl drei als einzig mögliche oder wenigstens optimale Dimensionszahl für einen Raum, in dem Leben und Bewußtsein existieren kann, basieren, soweit ich sie kenne, immer auf oben kritisierten Engrammen! Streng mathematisch topologische Ausarbeitungen ohne diesen Rückgriff sind mir nicht bekannt, und ich bin auch überzeugt, daß es sie nicht gibt. Physikalisch begründete Schlüsse benutzen ohnehin den Raum der Vorstellung - oft subtil versteckt in Größen, die nicht abstrakt genug definiert sind. So ist z.B. sehr amüsant zu entdecken, wie mit Hilfe des Begriffs „Kraft“ und deren Abhängigkeit von „Entfernung“ versucht wird zu beweisen, was in den Argumenten bereits enthalten ist.
Für weitestgehende Akzeptanz und damit auch möglichst einfache und produktive Umsetzung in praktische „lebensnahe“ Anwendung, muß natürlich Naturwissenschaft von apriori-Eigenschaften des Raumes ausgehen. Zu diesen konzeptionellen Voraussetzungen der Naturbeschreibung gehört eben der dreidimensionale Raum der Anschauung und die kontinuierlich ablaufende Zeit. Komplizierende Details betreffend Raum in der Größenordnung des beobachtbaren Universums, Abhängigkeit der Raumstruktur von darin enthaltener Materie oder auch Schwierigkeiten bei der Beschreibung sehr kleiner Raumelemente scheinen mathematischen Lösungen zugänglich. Die alles umfassende Theorie - so der weitverbreitete Glaube - ist letzten Endes Produkt immenser Fleißarbeit, genialer mathematischer Tricks und schließlich des Zusammenfügens aller Einzelergebnisse zu einem grandiosen lückenlosen Puzzle. Der Physiker ist zufrieden - dem Naturphilosophen, der ja auch in ihm steckt, ist etwas unbehaglich zumute: Sind nicht vielleicht doch diese konzeptionellen Voraussetzungen der tiefere Grund für das unbestimmte Gefühl, daß auch die beste, umfassendste Physik nur Annäherung an die Realität ist, eine Realität, die ja auch existieren soll, ohne daß ein Bewußtsein sie wahrnimmt und beschreibt? Hat aber andererseits Physik oder auch „nur“ abstrahierende Naturphilosophie überhaupt einen Sinn, wenn ich diese Voraussetzungen streiche oder modifiziere? Ich behaupte und bin sicher: ja !
Für mein persönliches Weltbild, mein individuelles Naturverständnis baue ich auf einem anderen Gefühl für Raumstruktur auf und will deshalb versuchen, einen philosophischen Bedarf zu wecken für den daraus folgenden, völlig anderen Raumbegriff, in dem „dynamische Dimensionen“ eine Rolle spielen, in dem „Dimensionalität“ einen völlig anderen Stellenwert hat und in dem die Aussage „das Teilchen fliegt durch den Raum“ sinnlos ist. Manches Aha-Erlebnis, Hochgefühl plötzlichen Erkennens und Erstaunen über Zusammenhänge rechtfertigen das Bemühen. Mit einem ganz einfachen Bild, sogar unter Zuhilfenahme der kritisierten Engramme und ohne komplizierte mathematische Abhandlung, kann den darin aufzuspürenden Gesetzmäßigkeiten eine physikalische Bedeutung zugeordnet werden, ohne die apriori-Eigenschaften von Raum und Zeit zu beanspruchen.
Zugegeben - Vorstellungskraft und Abstraktionsvermögen werden mächtig strapaziert dabei, doch es lohnt sich. Wie Schuppen fällt es von den Augen, wenn man Relativität und Quantelung in einem einzigen Bild eng verknüpft sieht, wenn Erhaltungssätze, Invarianzen und Naturkonstanten aus dem einfachen Modell folgen und nicht umgekehrt, wenn das Gefühl erwächst, daß pure Mathematik schon physikalische Bedeutung in sich trägt und wenn arrogant scheinende Bestimmtheit die Ahnung ersetzt, die selbst oder gerade berufsmäßige Mathematiker längst verdrängt haben:
Natur ist Mathematik!
Ich skizziere zunächst den Plan und beginne mit willkürlich erscheinenden Hypothesen, um behindernde Engramme zu durchbrechen: - Die Dreidimensionalität des Raumes „um den Beobachter herum“ ist Illusion des menschlichen Bewußtseins. Sie hat nichts mit dem Rahmen zu tun, in dem eine „absolute“ Gesamt-Realität existiert. Davon unberührt bleibt: die landläufige physikalische Realität beinhaltet alle vom Menschen mit seinen Sinnen erfaßbaren Eigenschaften des Universums und wird trotz der einschränkenden konzeptionellen Voraussetzungen bezüglich des Raumes, in dem sie existiert, adäquat und nahezu vollständig beschrieben. Reste von Unverstandenem (Deutungsbedürftigem) haben lediglich naturphilosophische Relevanz. Eventuelle Deutungen werden allerdings Rückwirkungen auf das Verständnis auch der landläufigen physikalischen Realität haben. - Weiter:
Die physikalische Realität kann in eine übergeordnete Gesamt-Realität eingebettet werden
und der Weg ist dem menschlichen Bewußtsein zugänglich. Wir bräuchten uns sonst nicht weiter mit solchen philosophischen Fragen zu befassen. - Und schließlich: Es gibt Möglichkeiten, „Raum“ ohne den Begriff Dimension zu definieren und zwar
derart, daß auch seine „Eigenschaften“ bereits impliziert sind. Der Dimensionsbegriff als Grundlage für die Definition des Raumes soll also überhaupt nicht mehr auftauchen. So weit will ich allerdings bei den ersten Schritten in Richtung
Abstrahierung nicht gehen, sondern zunächst die etwas schwächere Formulierung wählen: Die Anzahl der Dimensionen, mit der eine übergeordnete Realität beschrieben werden kann, ist keine physikalische Größe. Entsprechend nutzt das folgende
einfache Konzept vorerst noch die Engramme von „Dimension“, „Punkt“ und „Umgebung“:
Die gedankliche Verrenkung, sich den „üblichen“ vierdimensionalen Raum bildlich (in Engrammen) vorzustellen, gelingt bekanntlich nur mit einem „dynamischen“, jedoch nur dreidimensionalen Raum, nämlich Expansion, Kontraktion oder dynamische Krümmung der drei Raumkoordinaten in der Zeit. Die Verrenkung noch weiter steigernd, kann man den Meßvorgang in einer Dimension abstrakter definieren, nämlich nicht als ein statisches Nebeneinanderliegen von zu messender Koordinate und Meßstrecke, was immer das auch sein mag, sondern als ein dynamisches „Abrollen“ verschiedener Dimensionen aneinander. Begrenzungen eines Koordinatenabschnittes sind dann gleichwertig mit Beginn und Ende der Messung und tauchen in (wohlgemerkt!) jeder Raumdimension als zwei voneinander verschiedene Markierungen auf. Solchermaßen geartete Dimensionen tragen schon eine „Dynamik“ in sich und unterscheiden sich grundlegend von unseren Engrammkoordinaten. In einem Raum aus solchen dynamischen Dimensionen ist es auch nicht möglich, eine einzelne Dimension herauszugreifen, durch irgendeinen Koordinatenwert einen Schnitt zu legen und aus dem übrigbleibenden Raum eine Fläche oder Hyperfläche zu bilden. Raum-Zeit-Diagramme mit Weltlinien und Lichtkegeln sind Beispiele. Durch sie werden - im Versuch, vom gewohnten Raum zu abstrahieren - Engramme nur auf eine Dimension mehr erweitert und damit fixiert. In Einsteins Relativitätstheorien und gängigen anderen Theorien zur Raumstruktur und Geometrodynamik bezieht sich die Abstraktion bei der Raumbeschreibung nicht auf die zugrundeliegenden Dimensionen selbst, wird der Raum weiterhin von statischen Dimensionen aufgespannt. Dynamisch ist dort die Geometrie des Raumes in Form von Krümmung der Raumzeit, die Dimensionen selbst sind es nicht. Nach meiner Definition und Vorstellung ist eine 'expandierende' Dimension nicht dynamisch.
Aber jede nur formale Behandlung eines zunächst nicht vorstellbaren Raumes knüpft zwangsläufig irgendwann wieder an die gewohnten drei bzw. vier Dimensionen an, die wir mit unseren Sinnen scheinbar erfassen - oder sie verliert den Bezug zur erlebten, beobachteten und gemessenen Realität. Vor seiner Beschreibung durch abstrakten Formalismus müssen wir unsere Engramme durch andere - geeignetere - Vorstellungshilfen ersetzen, brauchen wir ein Modell als Abbildung der Struktur eines solchen angestrebten Raumes auf unser Bewußtsein. Es kann wohlgemerkt nur eine Gedankenstütze bei der Abstrahierung sein - bedient es sich doch der Raumengramme. Es soll lediglich oben geforderte Dynamik und Selbstähnlichkeit der Dimensionen einigermaßen anschaulich machen. (Allerdings, das nehme ich vorweg, wird diese neue Anschaulichkeit unerwartet mächtige Folgerungen nach sich ziehen!) Für einen so gearteten Raum will ich im nächsten Abschnitt versuchen, ein anschauliches Modell auszuarbeiten.
Dorntorus
Das Modell erhebt einen hohen Anspruch. In erster Linie ist es eine Übung für Vorstellungskraft und Abstraktionsvermögen - kein Problem für Dich. In zweiter Linie bietet es Dir, wenn Du Dich intensiv eindenkst, eine nicht enden wollende Serie von Aha-Erlebnissen. Und schließlich verringert es den Bedarf an Beschleunigern erheblich, insofern ist es Milliarden wert! Allerdings ist die Komplexität unendlich groß - also keine Chance für die Weltformel - doch diese Vielfalt beinhaltet - vielleicht - die Möglichkeit, alle Naturkonstanten aus dem Modell abzuleiten. (Also doch die Chance?)
Es gibt vielerlei Möglichkeiten, das Modell eines Raumes zu entwerfen, welches mit physikalischer Bedeutung erfüllt werden kann. Hier wähle ich eine besondere Darstellungsart der Menge der komplexen Zahlen. Sie ist hinlänglich bekannt als vollständige Menge von Zahlen innerhalb der akzeptierten reinen Mathematik und darüber hinaus von besonderer Bedeutung in der gesamten mathematischen Physik, insbesondere der Quantenphysik. Ähnlich wie im gewohnten Raum reelle Zahlen in Form jeweils einer Zahlengeraden die drei Koordinaten bilden, reelle Zahlen also die Dimensionen repräsentieren, will ich einen zunächst abstrakten Raum konstruieren, dessen Dimensionen durch komplexe Zahlen dargestellt werden. Koordinatenwerte müssen dann durch zwei Angaben festgelegt werden, entsprechend Real- und Imaginärteil. Wie im vorigen Abschnitt angeregt, soll dabei eine beliebig kleine Umgebung jedes Raumpunktes ein selbstähnliches Abbild des gesamten Raumes sein und die Dynamik dieses Raumes soll schon in jeder einzelnen Dimension enthalten sein. Das den Zahlen assoziierte Prinzip, das sie für uns „denkbar“ - vorstellbar - macht, soll also ein nach unseren Engrammen dynamisches sein. Ziel ist, die komplexen Zahlen derart zu „verkleiden“, daß sie aus ihrer Fixierung in der flachen komplexen Ebene aufsteigen, ihren selbsterzeugten Raum füllen und beleben, sich ausdehnen bis zum letzten Winkel des Universums und als reale Eigenschaften des Raumes beobachtbar werden. So irrational und kompliziert dies klingt, so handfest und einfach ist es zu realisieren:
Als Vorstellungshilfe - vorerst ohne Bezug zu den komplexen Zahlen, diese kommen erst bei der mathematischen Ausarbeitung und physikalischen Deutung ins Spiel - benutze ich den dreidimensionalen Dorntorus. Diese Wahl ist einigermaßen willkürlich. Ich könnte mit gleichem Recht zum Beispiel auch eine dreidimensionale logarithmische Schnecke nehmen - ein prinzipieller Unterschied besteht nicht. Zum Umsetzen der Geometrie in Analysis wäre sie vielleicht sogar weitaus besser geeignet. Doch hierfür ist die beschränkte Kapazität meines Vorstellungsvermögens etwas hinderlich. Der Raum, den ich konstruieren will, wird also wieder ein Kompromiß sein, ein Zugeständnis an Engramme. Sich aber ständig vor Augen haltend, daß das Bild ohnehin nur Vorstellungshilfe zur Abstrahierung des Raumbegriffs und nichts anderes sonst sein soll, dürfte dies eigentlich keine wesentliche Rolle spielen.
Nun zu diesem ominösen Dorntorus! Was ein Dorntorus ist, weißt Du? Nein? Nun, eben ein ganz gewöhnlicher Kringel, ein Ringwulst, allerdings ohne dieses Loch in der Mitte, er heißt deshalb auch Volltorus. Den Namen „Dorntorus“ erhält er wegen der beiden spitzen Gebilde, die beim Blick auf den Mittelpunkt von 'innerhalb' des Torus zum Vorschein kommen. Das Wichtigste daran ist eben dieser Mittelpunkt, an dem alle Wulstumfänge (Längenkreise, Meridiane) in Form der Dorne zusammenlaufen.
Die Symmetrie des Torus beinhaltet/ermöglicht zwei verschiedene, voneinander unabhängige Drehungen: einmal die Drehung um die Dorn-Symmetrieachse, die den Torus wie einen Kreisel rotieren läßt. Ich will sie künftig nur noch „Rotation“ nennen, abgekürzt „ro“. Dieses ro steht, da ja Größen wie Winkel, Winkelgeschwindigkeit und dergleichen noch nicht definiert sind, für alles, was die Rotation alleine charakterisiert. Des weiteren gibt es diese stülpende Drehung des gesamten Toruswulstes, am ehesten vergleichbar mit einem abrollenden Gummi-Kondingsbumms (natürlich ohne Loch und Lumen. Pardon, das findest Du nicht im Wörterbuch) - oder nehme ich besser einen Zigarrenrauchring? (Immer müssen irgendwelche Laster herhalten!) Dies sei jedenfalls die Abrollbewegung, Wulstumdrehung oder auch nur „Umdrehung“, abgekürzt „wu“. Wieder steht wu für alles, was die Umdrehung allein charakterisiert. Sie läßt einen markierten Punkt auf der Dorntorusoberfläche, ausgehend vom Mittelpunkt, entlang eines Wulstumfangs über den Dorn, dann über die eine 'abgeflachte Seite' zum 'Äquator' und über die andere abgeflachte Seite und den zweiten Dorn wieder zurück zum Mittelpunkt wandern. Diesen will ich übrigens „S“ nennen (S wie Symmetrie oder wie Singularität).
Es fehlt noch die Torusgröße, die man z.B. durch die Länge (ein noch zu definierender Begriff!) eines Wulstumfangs festlegen könnte. Nennen wir sie mal „la“ (nebenbei: die Dorntorusoberfläche ist dann la², π kommt nicht vor). Die Winkelgeschwindigkeiten von Wulstumdrehung und Rotation sind zwar grundsätzlich unabhängig voneinander, aber es reicht ohnehin für alle Zwecke, nur deren Verhältnis „v“ zu kennen, definiert als v = wu : ro, die absoluten Größen interessieren nicht, und wir können dadurch auch auf Einheiten für Winkel und Winkelgeschwindigkeit verzichten. Unabhängig davon, welche Vorstellung wir uns von ro und wu machen, können wir v bereits einen festen Wert zuordnen (Unbestimmtheiten derselben Art heben sich beim Verhältnis weg).
Wir haben also die noch etwas schwammigen Begriffe ro, wu und la sowie die schon genauer gefaßte Größe v, machen uns aber noch keine Gedanken über physikalische Interpretation. Vielmehr stellen wir uns jetzt den Dorntorus in Aktion vor: er hat eine bestimmte Größe, rotiert um seine Achse durch die Dorne und macht die wulstförmige Umdrehung, wobei Rotation und Umdrehung in bestimmtem Verhältnis zueinander stehen. Ich denke mir jetzt einen Bleistift dazu, den ich irgendwo (nur nicht in S) auf die Dorntorusoberfläche halte und den Torus darunter weiter rotieren und abrollen lasse. Macht er nur die Umdrehung ohne Rotation, zeichnet der Bleistift einen einzigen und immer denselben „Längenkreis“, umgekehrt bei Rotation ohne Umdrehung einen einzigen und immer denselben „Breitenkreis“, je nachdem, wo ich den Bleistift aufgesetzt habe. Entsprechend erhalte ich bei Variation des Verhältnisses v = wu : ro ein bestimmtes Muster auf der Dorntorus-Oberfläche.
Wie kann ich nun den Torus dazu bringen, sich irgendwie gesetzmäßig zu verhalten und nicht durch beliebige Veränderung von v ein chaotisches Muster zu produzieren? Was wäre die einfachste denkbare Vorschrift, ohne neue Größen und Parameter einführen zu müssen? Ich komme nur auf folgende: ich halte die Rotation konstant und reduziere die gesuchte Vorschrift auf die Wulstumdrehung. Zum schnelleren Verständnis, was ich meine, benutze ich jetzt eine saloppe Vorgehensweise, die leicht als solche unbemerkt bleibt, die aber später, wenn klar ist, worauf es ankommt, schnell wieder korrigiert werden kann: Ich versuche, die Umdrehung zu messen und zwar nicht über den Winkel, sondern über die Längenkreise, die ja bei der Umdrehung auf der einen Seite des Torus aus S herausquellen und auf der anderen in den Dorn hineinlaufen und wieder in S verschwinden. Ich nehme an, ich habe eine Methode, dieses Herausquellen in Längen-Einheiten messen zu können und fordere, die „Geschwindigkeit“ des Herausquellens (ich nenne sie ab jetzt „Abrollgeschwindigkeit“) sei konstant. Wiederum interessiert die „absolute Geschwindigkeit“ nicht, nur konstant und ungleich Null soll sie sein. Ich habe also sowohl ro als auch wu konstant gewählt, wobei erstere in „Winkeln“, letztere in „Längen“ (wichtig!) gemessen werden soll. Es folgt sofort, daß ein großer Torus langsamer dreht (jetzt in „Winkel-Geschwindigkeit“) als ein kleiner.
Zum Klarmachen setze ich die Rotation Null und betrachte einen großen Torus, der die Wulstumdrehung durchführt. Jetzt lasse ich ihn auf halbe Größe schrumpfen und stelle fest, daß er doppelt so schnell dreht. Denn, um bei der kleinen Größe die gleiche Länge herausquellen zu lassen (Forderung nach konstanter Abrollgeschwindigkeit, die ja in Längeneinheiten gemessen wird!), muß er einfach schneller drehen (in Winkeln). Schneller drehen bedeutet großes wu, also: großer Torus - kleines wu, kleiner Torus - großes wu. Ob das immer genau umgekehrte Proportionalität ist, also auch für ro ungleich Null (dann als v!), braucht vorerst nicht zu interessieren. Ich werde darauf zurückkommen. Soweit ist das Bild, denke ich, klar und anschaulich (bis auf erwähnte kleine logische Unzulänglichkeit, die, wie gesagt, u.U. auch übersehen wird, auf jeden Fall aber wieder deduktiv auszumerzen ist. Für das bloße Veranschaulichen soll die Vorgehensweise genügen).
Ist dieses Verhalten des Torus einmal erkannt, kann man ihn ohne weiteres auch noch rotieren lassen, während er seine Größe ändert. Da ro konstant sein soll, gibt es eine ausgezeichnete Torusgröße, bei der die Winkelgeschwindigkeit der Wulstumdrehung (was immer das auch sein mag, sie muß nur auf die gleiche Art definiert sein wie die Rotationsgeschwindigkeit) gleich ro ist. Diese Größe will ich T nennen (T wie Torus) und das diesem Torus zugeordnete (konstante) ro soll E heißen (E wie ... - nein, für physikalische Interpretation ist es immer noch zu früh). Diese beiden Angaben, E und T, reichen zur vollständigen Beschreibung des Torus inklusive seiner kompliziert erscheinenden Dynamik aus. (Oder vielleicht sogar E allein? - Warten wir's ab!)
Jetzt betrachte ich wieder den rotierenden und sich drehenden („abrollenden“) Torus, halte wie vorhin den imaginären Bleistift darauf, am besten eine Winzigkeit neben dem Punkt S, und sehe mir die Linie an, die der Stift malt. Diese „Abroll-Linie“ ist der Witz der ganzen Konstruktion und aus ihrem Verhalten werden noch die erstaunlichsten Gesetzmäßigkeiten folgen. Bei v = 1 sehe ich eine geschlossene Schlaufe, die nach einer Umdrehung und einer Rotation wieder in sich selbst übergeht, bei v = 2 sind es zwei Schlaufen nach einer Rotation, bei v = 3 drei, v < 1 ergibt eine Spirale, die den Punkt S in Richtung eines bestimmten Längenkreises verläßt, sich dann um den Dorn herumwickelt, bis zum Äquator immer größere Winkel mit den Längenkreisen, die sie schneidet, einschließt und dann in gleicher, umgekehrter Weise auf der anderen Seite des Torus zum Mittelpunkt zurückkehrt. Man stellt schnell fest, daß ganzzahlige Werte (v = n) n Schlaufen pro 1 Rotation machen, Kehrwerte von ganzen Zahlen ergeben Spiralen, die, wie beschrieben, nach einer Umdrehung und n Rotationen in sich selbst übergehen, bei rationalen Verhältnissen (v = z/n) sieht man z Schlaufen oder Spiralen nach z Umdrehungen und n Rotationen. Irrationale Zahlen oder - wenn man die endliche Strichstärke des Stifts berücksichtigt - auch schon rationale Zahlen mit großen Werten von z und/oder n lassen die ganze Torusoberfläche bedecken. Natürlich entstehen diese Linien analog den Lissajous-Figuren bei der Überlagerung harmonischer Schwingungen unterschiedlicher Frequenz in verschiedene Richtungen. Ich will sie deshalb auch so nennen: Lissajous-Figuren auf der Dorntorus-Oberfläche, die einzelnen Schlaufen pro Umdrehung nenne ich „Blätter“, das ganze Gebilde dann „n-blättrige Lissajous-Figur“.
Meine eingangs erwähnten physikalischen Interpretationen stelle ich, wie gesagt, immer noch hintan, denn es lohnt sich, vorher die Geometrie und Dynamik des einzelnen Dorntorus auf sich wirken zu lassen. Das bisher einzige Prinzip „konstante Abrollgeschwindigkeit (Längeneinheit) und konstante Rotationsgeschwindigkeit (Winkel)“ macht schon genug Komplexität, um sich erst mal damit zu beschäftigen. Es wird, obwohl keine neuen Prinzipien hinzukommen, noch kompliziert genug, wenn man zwei, mehrere oder gar sehr viele Tori mit gemeinsamem Punkt S untersucht und dabei erkennt, wie die Lissajous-Figuren ihr 'Eigenleben' entwickeln. Die Komplexität dieses Eigenlebens geht schnell gegen Unendlich (bleibt aber auf wunderbare Weise einfach und durchschaubar). Ich empfehle deshalb - vorausgesetzt, Du interessierst Dich überhaupt für die Sache und hast etwas Zeit und genügend Neugierde, die Anstrengung aufzubringen (es lohnt sich!) -, erst mal bei einem einzelnen Torus zu bleiben und Dich intensiv in die geschilderte Dynamik einzudenken.
Ungemein hilfreich ist natürlich ein Computerprogramm, das den Torus, die Abrollinie, sonstige hilfreiche Kurven und torus-assoziierte Gebilde zeichnet. Experte Mike soll hierzu QBasic aufrufen - nehme an, daß er darüber verfügt - und mein Programm ROTATION.BAS (90 KByte) von der Diskette laden. Es ist selbsterklärend, hat aber auch eine Hilfefunktion. Er sollte allerdings unbedingt erst eine schreibgeschützte Sicherungskopie machen, denn es ist verletzlicher, uncompilierter Quellcode. Man kann damit nicht nur Dorntori und die Abrollinien, sondern jeden beliebigen Rotationskörper in beliebiger Perspektive und Ausschnittsvergrößerung zeichnen, Gradnetze, Kurven und andere Gebilde auf die Oberfläche projizieren sowie dynamische Vorgänge anschaulich darstellen.
Außerdem bietet es sich an, Iterationsverfahren mit Hilfe der Dorntori, die ja, wie ich noch erläutern werde, komplexe Zahlen darstellen, zu formulieren und fraktale Figuren im Torusraum zu erzeugen. Man erlebt Überraschungen, und physikalische Interpretationen drängen sich auf! Neulich habe ich einen Modus (Unterprogramm: Sub Boson) für selbständiges Suchen nach Lissajous-Figuren hinzugefügt und damit ein wenig herumgespielt. Die gezeichneten Bilder sind ebenfalls eine enorme Hilfe bei zunächst relativ willkürlichen Interpretationsversuchen. So gibt es oft sehr schwache, kaum erkenntliche Dichtezunahmen der Abrollinien bei Annäherung an Werte für v, bei denen Lissajous-Figuren entstehen, aber auch - bei manchen anderen Werten - ganz scharf ausgeprägte Maxima, sodaß ich nicht umhin kann, solche Werte als „Resonanzen“ zu bezeichnen. Werden die Start- und Einfang-Parameter für Resonanzen mit Bedacht gewählt, wird eigentlich klar, wie zu interpretieren ist. Je genauer man hinschaut, desto komplexer - und klarer! - wird es. Doch davon später.
Erinnerungs-Intermezzo
Zwar sehe ich, wie weitreichend und universell die Interpretations-Möglichkeiten sind, aber selbst wenn meine Tori zu nichts anderem taugten (sie tun's jedoch!), mir haben sie bereits eine stattliche Anzahl Augenblicke intensiven Glückerlebens beschert. Das Entdecken von Fragestellungen und Wiederfinden derselben Probleme in den Strukturen der eigenen Gedankenwelt, die fesselnde Suche nach Lösungswegen, plötzliches Erkennen der Zusammenhänge, Erfolge nach langer, schwieriger Programmierarbeit (gemessen an meinen bescheidenen Kenntnissen und Fertigkeiten), Befriedigung über das Bewältigen selbstgestellter Aufgaben - mir bedeutet dies Ausgefülltsein und Erfüllung intensiver früher Träume. Eines der Geheimnisse echter Zufriedenheit ist, seine Jugendträume nie aus den Augen zu verlieren, sie als stärkste Triebkraft der Lebensgestaltung beizubehalten. Entstanden aus Prägungen, die einen ein ganzes Leben lang begleiten und beschränkt auf in jungen Jahren Vorstellbares, hat man mit seinen in der Regel zunehmenden Möglichkeiten die Chance der Realisierung. Träume und Wünsche in mir selbst suchen, nicht künstlich konstruierten und aufgezwungenen Zielen nachjagen, war und ist für mich bewährtes Rezept. Aber wem sage ich das?!
Ein klein wenig zu weit hatte ich es getrieben, indem ich als junger Student mit grobem Besen alle entdeckten störenden Über-Ichs wegfegte. Auf der Strecke blieben natürlich auch die nützlichen Tugenden Ehrgeiz, Opportunismus und Durchsetzungswillen, wodurch mir schlagartig die angestrebte wissenschaftliche Laufbahn in Theoretischer Physik verbaut war. Viele Jahre hegte ich Trotz gegen „meine“ Physik. Sie hatte meine hehre, innige Zuneigung nicht erwidert, hatte sich eingelassen mit widerlichen, ungehobelten Theoriemonstern, sich eitel mit ekligem Luxus prostituiert, unkritisch mit wertlosem Tand behängen lassen. Alle sonnten sich in ihrer schillernden Ausstrahlung, aber ich mochte sie so nicht, konnte die Bordells geiler Denkperversionen nicht ertragen. Ich war wohl in die falschen Häuser geraten damals, hatte keinen Zutritt zu den noblen Etablissements erlauchterer Kunden. (Dies gibt selbstverständlich meine damalige Stimmung wieder - heute sehe ich die Dinge anders, bin ich gemäßigter, habe selbst Gefallen gefunden an gewissen Perversionen und achte meine Mitmenschen!) - Ich packte andere Träume an, lebte diese aus, hakte einen nach dem anderen ab - und jeder bescherte mir Glücksgefühle. Ganz besonders intensiv die Fliegerei.
Sonntags-Kaffee-Ausflüge mochte ich nicht. Gern flog ich allein, tat es häufig, suchte dann die Herausforderung, das Prickeln, das innige Verschmelzen mit dem technischen Gerät. Das waren meine Flügel, die Instrumente meine Sinne. Mir den Weg zu erfühlen, in marginalem Wetter, jenseits jeder Vernunft und Vorschrift, zwischen Bergen und Wolken, in Regen, Dunst und Dunkelheit, oftmals das erotisierende Gefühl spürend, wie es der berühmtesten aller Katzen anstünde, doch immer ohne Angst, immer mit der Sicherheit: „du kannst es!“ - das waren höchste Glücksmomente. Und ich erlebte sie allein. (Stets waren die Alpen im Weg auf dem Flug von und nach Korsika. - Selbstverständlich wählte ich für Passagiere den entspannten Instrumentenflug über sicherem Terrain ohne Bewegung und Dramatik.)
Auch banalere Dinge waren Quelle des Glücks: eine genußvoll durchgeführte handwerkliche Arbeit, die stille Vorbereitung auf eine schwierige Prüfung, eine Tätigkeit als Arzt - im Hintergrund, ohne die dankbare Rückkopplung von Patienten, Reisen allein - allein in der fremden Großstadt, allein im australischen Outback, allein auf dem Mt. Beerwah, auf dem Meer, dem Ozean, ... , allein, ohne Dokumentation eigener Leistung. Kennst Du das Gefühl: du bist allein auf der Welt, gehst einen einsamen Weg, von dem du weißt, daß er dich nirgendwo hinführt, und dennoch drängt es dich weiterzugehen? - Es ist ein fantastisches Gefühl! Es gibt dir grenzenlose Freiheit! Und es schützt dich zuverlässig vor Enttäuschungen. Aber mich machte es treulos. Treulos gegen meine Physik. Nur manchmal, eher verstohlen, liebäugelte ich mit diesem oder jenem Teil von ihr, fühlte mich wie ein Voyeur, wenn ich in Bibliotheken nach den Praktiken anderer Liebhaber schielte.
Doch dann holte sie mich ein! Ja, nicht ich kehrte reumütig zurück, sie, die Physik überfiel mich in einer Blitzattacke, fing mich ein, hielt mich fest! Im Golf von Neapel war es. Das Geschoß traf mich mit solcher Wucht an einer wohl empfindlichen Stelle, daß ich erst erschreckt zusammenzuckte, dann gelähmt - unfähig mich zu wehren - fühlte, wie es sich wirbelnd über mich stülpte, sich eng anschmiegte an offenliegende, aber beiseite geschobene Gedanken und Bilder, um schließlich ruckartig und fühlbar in irgendwelchen Hirnwindungen steckenzubleiben. Mein Kopf drohte zu zerbersten, das Herz begann zu rasen, ich wurde hellwach. Binnen Sekunden wandelte sich der Schreck in ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Nie zuvor und nie mehr später habe ich es in solcher Intensität, als so starke körperliche Empfindung, erlebt.
Sie hatte einen Dorntorus nach mir geschleudert. - Ohne daß ich dies in dem Augenblick wissentlich provoziert hätte. Einfach aus blauem Himmel. - Nein, blau war der Himmel nicht. Es war Nacht. Wir kamen von Süden mit unserem Boot, hatten gerade Capri passiert und steuerten auf Ischia zu. Ich hatte überhaupt keine erinnerlichen Gedanken, war einfach hundemüde, kurz vor dem Einnicken. Das Schiff steuerte sich selbst und das Ziel war noch zwei Tage weit entfernt: unsere Insel - Korsika.
zurück zum Dorntorus
Der Überfall im Golf von Neapel kam vielleicht doch nicht so ganz von ungefähr. Die Tage zuvor war ich nach langer Abstinenz der Versuchung erlegen und hatte mich zum Lesen eines Buches mit physikalischem Inhalt hinreissen lassen. Es war der 'Dialog mit der Natur' von Ilya Prigogine und Isabelle Stengers. Mit der ganzen Skepsis, die ich aufbringen konnte, aber guten Willens, hatte ich mir zu den dort auftauchenden Begriffen dynamische Systeme, Gleich- und Ungleichgewicht, Dissipation, intrinsische Zeit, insbesondere Zeit und Entropie als Operatoren, intensive eigene Gedanken gemacht, konnte aber keine Ideen hinzufügen. Vielleicht hatte ich mich auch nur im Unterbewußten beim Lesen des Namens Kolmogoroff dunkel an die KAM-Theorie erinnert (Kolmogoroff, Arnold, Moser), in der bei der Beschreibung nicht-integrabler ergodischer Systeme ein Torus vorkommt (kein Dorntorus!). Wie dem auch sei, das Bild war eingerastet und hatte unmittelbar eine Vielzahl von Assoziationen ausgelöst. Könnte ich doch die Kettenreaktion meiner damaligen Vorstellungen nachvollziehen! Ich müßte nicht so nach Worten ringen. Das ist mein altes, behinderndes Problem: es fällt mir schwer, in Worten zu denken, und beim Schreiben komme ich nur in ganz kleinen Schritten voran, will ich Gedankensprünge vermeiden. Aber es hilft nichts - will ich die Sache weiterverfolgen, muß ich den nächsten kleinen Schritt gehen. Zuvor eine kurze Rekapitulation in etwas anderen Worten:
Wir stellen uns noch einmal einen Dorntorus beliebiger Größe mit Mittelpunkt S vor. In S vereinigen sich alle Wulstumfänge (Meridiane). Wie die Radien eines Kreises oder einer Kugel alle im Mittelpunkt entspringen, so ist auch hier der Punkt S Ursprung aller Meridiane. Unterschied zu Kreis oder Kugel ist, daß sich alle Meridiane im Punkt S berühren, sie sind hier also sozusagen „parallel“. Außerdem gibt es zwei „Richtungen“, von S aus gesehen, in die sich die Meridiane auffächern. Wir stellen uns jetzt wieder vor, die Meridiane quellen aus dem Punkt S hervor wie z.B. dünne Kunstfasern aus einer Spinndüse, wandern über die Torusoberfläche hinweg und sammeln sich auf der anderen Seite von S, wieder zu einem Punkt konvergiert. Der gesamte Torus führt also seine wulstförmige Drehbewegung aus. Solange man nur diese Wulst- oder Abrollbewegung betrachtet, sind alle Meridiane gleichberechtigt, sie sind ununterscheidbar, es gibt keinen Nullmeridian, keine „Winkel-Subkoordinate“ und keine Drehung des Torus um seine Symmetrieachse.
Zur Untersuchung der geometrischen Verhältnisse reicht demgemäß ein Querschnitt durch S: Die Abrollgeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit, mit der die Meridiane aus S hervorquellen nenne ich jetzt „c“. Sie soll konstant sein, auch nicht abhängig von der Torusgröße, was immer das sei. Sie kann beliebig groß oder klein gewählt werden, völlig willkürlich, auf nichts anderes bezogen, nur konstant und ungleich Null soll sie sein. Sie hat demzufolge keine Maßeinheit. Sobald sie mit einem Wert versehen ist - sinnvollerweise „1“ - kann man dem Torus eine „Größe“ zuordnen. Zuvor war ja wegen der Selbstähnlichket der Tori ein Begriff Größe gar nicht definiert, gar nicht definierbar! Jetzt aber hat der Torus z.B. die Größe „1“, wenn seine Meridianlänge la = c ist. Mit diesem von Null verschiedenen Wert für c verliert das Gebilde „Dorntorus“ seine Skaleninvarianz. Diese bezieht sich nämlich nicht mehr auf die Dynamik: Kleine Tori rollen, wie wir gesehen haben, schneller ab als große, in Winkeleinheiten der Wulstumdrehung gemessen. Diese Asymmetrie liefert also eine natürliche Einheit für die Längenmessung. Sie wird auf eine Drehung in einem abstrakten Raum bezogen. Da la jetzt genauer zu fassen ist, taufe ich die Meridianlänge um in „L“.
Bequemlichkeitshalber führe ich einen Parameter ein für diese Drehung, nämlich zusätzlich zu den Meridianen im Zentrum der „Spinndüse“ S eine Linie, die nicht der Oberfläche des Torus folgt, sondern gestreckt bleibt und rein euklidisch-geometrisch die Symmetrieachse des Ganzen darstellt (wenn Du so willst: die Seele des gesponnenen Fadens). Ich will die Hilfslinie „t“ nennen. Die Drehbewegung des Toruswulstes kann dann als Abrollen auf dieser Linie angesehen werden, ähnlich wie das Abrollen eines Jojo an seinem Faden. Ich führe t nur ein, um die Ausdehnung des Torus in dem abstrakten, nicht vorstellbaren Raum, gar nicht benutzen zu müssen. Zur Vorstellung der Abrollbewegung reicht eine ganz kleine Umgebung von S, in der nur das Auseinanderstreben der Meridiane schon erkennbar ist, völlig aus. Wie der Torus 'weiter draußen' aussieht, braucht eigentlich gar nicht zu interessieren. Die Linie t quillt wie die Meridiane mit der Geschwindigkeit c aus S hervor, und die Drehgeschwindigkeit kann, sobald ein Drehwinkel „φ“ definiert ist, als dφ/dt auf t bezogen werden. In jeder Phase der Drehung rollt der Torus jeweils alle seine Meridiane auf der Linie t ab. Der Einheitstorus mit Meridianlänge L=c legt die Einheit Δt=1 auf t fest. So weit so einfach. Zeit für den nächsten Schritt:
Sehr viel komplizierter wird das Ganze auch nicht, wenn wir uns einen Punkt S als Mittelpunkt mehrerer verschieden großer Tori vorstellen. Diese sind also alle ineinander geschachtelt und rollen sich nicht nur auf der Linie t ab, sondern gleichzeitig auch aneinander, den Punkt S immer beibehaltend. Falls die Vorstellung etwas schwer fällt, nimm statt Tori dünnwandige Glaskugeln zu Hilfe: eine große Kugel enthalte eine kleinere, die - z.B. im Schwerefeld befindlich - am „Grund“ der großen liegt. Die kleine Kugel enthalte wiederum eine noch kleinere, die „unten“ in der jetzt mittelgroßen liegt. Auf diese Weise kann man viele verschieden große Kugeln „ineinander schachteln“, eine kleine Kugel immer innerhalb der nächst größeren. Versetzt man die größte Kugel in eine Drehbewegung um eine horizontale Achse, so drehen sich die in ihr enthaltenen ebenfalls mit und zwar mit gleicher Drehrichtung und gleicher Abrollgeschwindigkeit (in Längeneinheiten der Meridiane gemessen) aber umso größerer Winkelgeschwindigkeit, je kleiner die Kugeln sind. Dieses Bild läßt sich leicht auf die ineinander geschachtelten Dorntori übertragen: Alle rollen sich mit gleicher Geschwindigkeit auf der Linie t und aneinander ab, kleinere den nächst größeren von innen berührend. Die Mittelpunkte bleiben alle im Punkt S vereint, nur die Winkelgeschwindigkeit der Wulstumdrehung ist umso größer, je kleiner der Torus ist. Geht die Torusgröße gegen Null, geht die Abroll-Winkelgeschwindigkeit gegen unendlich und umgekehrt.
Strapaziert wird die Vorstellungskraft - hier deute ich nur das Verfahren an -, wenn wir jetzt die Tori noch die Rotation durchführen lassen. Zwar fällt es nicht schwer, zusätzlich zur Abrollbewegung die Rotation um die Symmetrieachse anzunehmen - die Torusform impliziert dies ja geradezu -, doch die Kombination beider Drehungen ist nicht mehr ganz so trivial. Zur Veranschaulichung haben wir an beliebiger Stelle auf der Torusoberfläche den Markierungsstift aufgesetzt, unter dem der Torus seine Drehbewegungen ausführt. Der Stift ist also „fest“, der Torus rotiere und rolle sich simultan ab. Je nach Verhältnis Abroll- zu Rotationsgeschwindigkeit - die schon bekannte Größe v - wird sich, wie gezeigt, eine schlaufenförmige oder spiralige Linie abzeichnen. Die Länge „A“ dieser Linie (A wie Abroll...), bezogen auf die zurückgelegte Abrollstrecke auf t, hängt ab von der Rotationsgeschwindigkeit und der Torusgröße. So weit läßt sich alles relativ leicht geometrisch nachvollziehen, ich werde dies und folgendes aber weiter unten noch ausführlicher diskutieren. Schwieriger wird es, obwohl wir den euklidischen Raum der Vorstellungshilfe nicht verlassen, wenn wir die Abrollinie nicht auf t beziehen, sondern auf die Abrollinie eines anderen Torus. Wir untersuchen also, wie zwei Tori unterschiedlicher - aber voraussetzungsgemäß jeweils konstanter - Rotationsgeschwindigkeit sich aneinander abrollen. Den Markierungsstift von vorhin zu Hilfe nehmend, müssen wir ihn in diesem Fall in unmittelbarer Nähe von S ansetzen, damit er simultan beide Abrollinien zeichnet. Beide verlaufen zunächst „parallel“ zu den Meridianen und die Längen nehmen wegen gleicher Abrollgeschwindigkeit kontinuierlich um denselben Betrag zu. Rechnet man aber die Längen der Schlaufen oder Spiralen aus, erhält man unterschiedliche Werte! Dies bedeutet: sollen die Abrollinien, auf denen sich zwei Tori aneinander abrollen, gleich lang sein, müssen sich die Torusgrößen während des Abrollens verändern (Rotations- und Abrollgeschwindigkeiten sind ja konstant!).
Mit Hilfe eines einfachen Computerprogramms, das die jeweils aufsummierten Längen A1 und A2 der beiden Abrollinien nach jeder differentiellen Drehung vergleicht, gleichsetzt, die Torusgrößen L1 und L2 entsprechend anpaßt und diese Veränderungen sichtbar macht, untersuchen wir das Verhalten der beiden Tori - sozusagen ihre „Wechselwirkung“. Wir sehen erstaunliches! Bei beliebig gewählten Ausgangswerten für Größe und Rotation der Tori verhalten sich diese völlig chaotisch. Ein Bewegungsmuster ist zunächst nicht ersichtlich. Mal scheinen sie um einen bestimmten Wert herum zu pendeln, um dann plötzlich aus scheinbarer Stabilität heraus auf winzige Größe zu schrumpfen oder sich riesig aufzublähen. Ein andermal, bei Wahl anderer Ausgangsparameter, divergieren die Torusgrößen von vornherein sehr schnell oder das Anpassen der Größen, um die Abrollinien gleichzusetzen, ist erst gar nicht möglich. Es gibt allerdings diskrete Kombinationen von Werten für Größenverhältnisse und Rotationsgeschwindigkeiten, bei denen sich ein stabiler Zustand herausbildet, oftmals erst nach sehr langer Rechenzeit des Computers erkennbar. Zwar habe ich die Rolle des Rundungsfehlers bei den zigtausend oder -Millionen Rechenschritten noch nicht ausreichend untersucht, will also keine voreiligen Schlüsse ziehen und sehe dieses Verhalten noch nicht als eindeutig belegtes Phänomen an, doch bestehende Assoziationen drängen Interpretationen mit Macht auf!
Gedanken-Sprünge ??
Solltest Du mir jetzt vorwerfen, ins mittelalterliche Zahnradkonzept zurückgefallen zu sein, so muß ich zugeben, daß ich trotz der vielen einleitenden Worte versagt habe im Bemühen, mich verständlich zu machen. Allerdings glaube ich, daß Deine Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen und Gedankensprünge zu interpolieren, mein Unvermögen mehr als wettmacht. Dennoch - die Sprünge des letzten Absatzes sind wohl doch unzumutbar weit ausgefallen und dabei folgen noch so viele mehr! Und die Sprünge werden immer weiter! Ich bin doch im Zweifel, ob ich mich werde verständlich machen können.
Ich kann nicht mehr beurteilen, wieviel gedanklicher Vorarbeit es bedarf, um mich bei den Schritten - es werden wohl wieder Sprünge werden -, die ich als nächste vollziehen will, zu begleiten. Die Idee ist für mich zum Inbegriff von Selbstverständlichkeit geworden nach Jahren besessenen Eindenkens, nach Tausenden von Versuchen, den Zugang zu höchster Abstraktion zu finden. Oft befand ich mich in einem Zustand entrückter Trance, vergaß zu essen, zu trinken, zu schlafen - der Körper in absoluter Entspannung, die Gedanken in rasender Rotation. Ohne Orchidees Anstrengungen, mit Liebe und Machete immer wieder meinen wild wuchernden Torusdschungel zu lichten, hätte ich womöglich den Boden unter den Füßen verloren und auch noch vergessen, wie schön das Leben doch ist. Der Kampf ist vorüber, ist heil überstanden. Meine Tori leisten nun, was sie sollen - mehr ist nicht vonnöten, und es kommt kein Zweifel mehr auf durch das Urteil des Experten: „Dae Wong? Nie gehört! Worüber hat er gearbeitet? Wo hat er veröffentlicht? Ach - ein Außenseiter. Armer Irrer - immer dasselbe: kaum versucht sich ein Laie an der Wissenschaft, hat er auch schon den Kreis quadriert und das Perpetuum mobile erfunden. Nein, das ist uninteressant. Wirfs in Papierkorb. Schade um's Papier!“ ... Was kümmert's mich?! Jeder hat seine Freude, ich hab' meine. ...
Natürlich ließe sich das Wesentliche auch leicht streng mathematisch aufbauen ohne die umgangssprachliche Umschreibung. Doch diesen Versuch habe ich für einen anderen Ort vorgesehen. Er behindert das eigentliche Ziel, Engramme zu durchbrechen, führt oft zu Tautologien und verdeckt die Zusammenhänge. Meine Denkstruktur ist eine mathematische und ich sehe es als eine größere Herausforderung, meine Bilder in einer mir eher ungewohnten Art und Weise auszuarbeiten - auch um andere Perspektiven zu entdecken. Und außerdem - wolltest Du einen Brief von mir lesen, der nur aus Kürzeln und Symbolen besteht? Und es ist doch viel schöner, Märchen und Geschichten zu erzählen, als mathematische Gleichungen zu unterbreiten. Besonders, wenn das Märchen schneller zum selben Schluß führt als die lange Rechnung.
Das will ich jetzt tun: ein kurzes, aber spannendes Märchen und eine entspannende Geschichte erzählen.
Die Vertreibung der Leere
Äonen tat die Leere nichts anderes als Zahlen zu zählen. Eine Zahl nach der anderen, in schöner Ordnung und Reihenfolge, ließ sie durch sich hindurchwandern. Jede verweilte nur unendlich kurz, dann wurde schon die nächste Zahl gezählt. Es konnten natürlich keine reellen Zahlen sein, denn schließlich war es die Leere, die zählte und es gab noch kein reelles Universum, noch keine Realität, in der sie reelle Zahlen hätte finden können. Nein, die Zahlen waren nur imaginär. Nachdem sie schon unendlich oft, in friedlicher Stille, alle unendlich vielen imaginären Zahlen mit all ihren unendlich vielen Stellen hinter dem Komma durchgezählt hatte, da geschah es:
Ein einziges Mal, gerade war die Zahl 0,0072973527...(i) vorbeigekommen, stutzte sie einen unendlich kurzen Augenblick, wußte diesen unendlich kurzen Augenblick nicht mehr, in welche Richtung sie weiterzuzählen hatte, begann leicht zu rotieren und zählte dadurch versehentlich in eine falsche Richtung. Nur eine einzige falsche Zahl zählte sie. Sie hatte eine einzige reelle Zahl zu ihren imaginären hinzugefügt. Das hätte sie nicht tun sollen! Aus war es mit der friedlichen Stille! Diese eine Zahl verstand es, sich mit den imaginären zu verbinden, sich schlagartig zu vermehren, eine neue Unendlichkeit zu formen und diese mit einer gewaltigen Fülle zu versehen. Die Zahlen waren der Leere entglitten, sie wurden mächtiger als ihre Schöpferin. Die neuen Zahlen, in Gesellschaft der alten, waren von rasender Aggression. Sie vertrieben nicht nur die Leere, sondern bekämpften sich auch gegenseitig. Die aggressivsten, das waren die meisten, vernichteten einander in unbändigem Kampf in der gesamten neuen Unendlichkeit. Mit den reellen Zahlen war die unendliche Realität entstanden, von Anfang an durch wütende Aggression geprägt. Nur ein kleiner Rest, Paare aus neuen und alten Zahlen, aus reellen und imaginären - komplexe Zahlen - überlebte das infernalische Chaos. Sie haben ihre ursprüngliche Wut vergessen und verleihen heute der Realität ihre unendliche Komplexität.
Die reellen hatten erkannt, daß sie ohne imaginäre nicht existieren können und sich ihnen freiwillig untergeordnet. Und die Leere? Sie hat beim Stolpern über 0,0072973527...(i) vermutlich diese Zahl ausgelassen und sich damit ein stilles Plätzchen reserviert, wo sie ihrer Leidenschaft, dem Zählen, nachgehen kann. In der neuen Welt der komplexen Zahlen ist kein Platz mehr für sie. . . .
So weit das Märchen von der imaginären und reellen Komplexität. Und nun - zur Entspannung und auch zur Vorbereitung Deiner Konzentration auf die dann folgenden Gedankensprünge - erzähle ich Dir eine Geschichte aus meiner komplexen, aber realen Imagination, diesmal erlebt - erst vor wenigen Tagen - und geeignet, Dir ein klein wenig ein Bild von unserer Umgebung zu vermitteln.
Puercallis
Unsere Insel hat uns noch nicht losgelassen. Insbesondere der Adlerhorst hält mich in seinem Bann gefangen. Wir haben unser Schiff mit Proviant vollgebunkert und in die mangroven-besäumte Bucht verlegt, ankern dicht am Scheitelpunkt, unmittelbar unterhalb des Felsens. Hoch ist er ja nicht, vielleicht 100 m, aber dichter eingewachsen als Dornröschens Schloß - undurchdringlich, selbst mit scharfer Machete keine Chance. Trotzdem unternehmen wir täglich an immer neuen Stellen Versuche, den Aufstieg zu finden - vergeblich. Nach zwei Wochen sind wir an der Rückseite des Felsens als Ausgangspunkt für den nächsten Versuch angelangt. Doch hier ist er am steilsten, besteht größtenteils aus blankem, senkrechten Stein. Wir wagen es. Das Dickicht am Fuß bewältigen wir mit Hilfe der Machete, überwinden die ersten steilen Abschnitte dank der Bäume, die sich dicht an die Felswände schmiegen. Zweifel überfallen mich: Kann ich dies Orchidee zumuten? Aber sie ist guter Dinge und hat Spaß am Klettern. Wir gelangen auf einen Grat, blicken dahinter in einen Einschnitt, der vollkommen bedeckt ist mit gigantischen Palmen. Noch nirgendwo sonst haben wir solche Palmen gesehen! Ihr dichtes Blätterdach formt mächtige Kuppeln über riesigen Hallen, die in gespenstisch grünes Dämmerlicht getaucht sind. Und die Hallen sind leer - kein Strauch, kein Kraut bedeckt den Boden, nur die Säulen der Stämme und eine dicke weiche Schicht zerfallender Palmwedel. Ganz bequem durchschreiten wir die Hallen, steigen den Einschnitt hoch - der Rest ist Kinderspiel. Wir sind oben! Eine Anzahl schwarzer Geier mit weißer Halskrause fliegt erschreckt hoch. Grandios ist der Ausblick über die Bucht mit unserem Schiff, über das Korallenriff, die Hügel und Täler, die andere Seite der Insel mit ihren vorgelagerten Cays.
Nach diesem beglückenden, imposanten ersten Eindruck sehen wir uns auf dem Plateau selbst um. Nach einer Weile stutze ich, lasse meinen Blick ruckartig von einem Stein zum andern, von einem Baum zum andern springen, drehe mich mehrfach um mich selbst, gehe ein paar Schritte, betrachte die Umgebung aus anderen Blickwinkeln. Ganz langsam, aber immer stärker beschleicht mich das Gefühl: Déjàvue! Ich kenne den Ort. Noch nie zuvor war ich hier oben, noch nie früher war ich in diesem Teil der Welt - aber ich kenne diesen Ort! Was macht ihn mir so bekannt? Sind es die Felsformationen, die Bäume, die verkohlten, verfallenen Reste der Urwaldriesen, die am Rand des Plateaus liegen, die Feuerstelle in der Mitte, das Tiergerippe daneben? Ich komme nicht darauf. Muß wohl das zufällige Übereinstimmen mit einem meiner intensiven Träume sein. Nur darüber bin ich mir sicher: es ist kein unbewußter Effekt oder Defekt meiner Empfindungswelt. Als Arzt kenne ich solche Symptome und soviel weiß ich: meine Psyche habe ich im Griff. Auch Orchidee bestätigt mir lachend, daß ich wohl ganz o.k. sei. Wie dem auch sei, ich akzeptiere die Möglichkeit der Erinnerung an einen Traum und mache mich daran, das Gerippe zu untersuchen. Einige Teile fehlen - Geier haben sie sicher weggeschleppt. Es muß wohl ein verirrtes Schaf gewesen sein, denn endemische Säugetiere gibt es keine auf der Insel und von Größe und Schädelform her könnte es passen. Klar - ein männliches: in der Feuerstelle, zwischen Scherben eines Tongefäßes liegt der klägliche Rest eines Horns, mit leichter Rechtsspirale. Sicher eine englische Rasse. Wir verweilen noch eine gute Weile an dem Ort, sind glücklich über unseren Erfolg nach so vielen vergeblichen Anläufen. Nur der beträchtlich blasende Passat stört die Stille.
Beim Gedanken an den Abstieg bekomme ich erneut Zweifel: senkrechte Wände abzusteigen - ohne Seil - ist immer gefährlicher als aufwärts. Das Risiko ist uns doch zu groß, und wir beschließen, den Grat, der den Adlerhorst mit einem anderen, quer verlaufenden Höhenzug verbindet und weniger bewachsen scheint, entlang zu klettern, um den lichten Kiefernwald zu erreichen, der die größeren Höhen ab ca. 300 m bedeckt. Mit Mühe zwar und kleinen Blessuren, aber vergleichsweise problemlos schaffen wir den Höhenzug. Ein freier Sattel zwischen zwei Hügeln eröffnet uns einen unerwarteten, wunderschönen Blick in ein weites Hochtal, ringsum eingefaßt durch Hänge. Das Tal scheint kultiviert mit Gärten, Feldern und Viehweiden, die sich harmonisch in die üppige tropische Vegetation aus Palmen, großen Bäumen und dichtem Buschwerk einfügen. Die höheren Hänge sind mit Kiefern bestanden, und wir finden tatsächlich einen bequemen Abstieg in dieses Tal, halten uns meerwärts, um keinen begehbaren Pfad weiter hinunter zu übersehen.
In der Nähe des Talausganges, wo fünf den ganzen Kessel durchziehende Bäche zusammenfließen und ihn an einem ganz schmalen Einschnitt als Wasserfall in einen dicht bewaldeten Steilabfall hinein, zum Meer hinunter, verlassen, machen wir Halt. Von hier haben wir einen fantastischen Überblick. Auf der einen Seite, tief unter uns, die türkisfarbene Lagune mit den vielen bunten Korallentupfern, auf der anderen dieses landschaftliche Unikum mit fächerförmig angeordneten Seitentälern und sanften Hügeln dazwischen. Einer der Hügel - er erhebt sich aus der Mitte des Tales, bildet einen flachen Rücken und läuft in einem breiten Seitental aus - ist von Bewuchs freigehalten, fast ein gepflegter Rasen. Ein Landeplatz! Hier könnte ein Kleinflugzeug starten und landen. Das muß ich mir genauer anschauen! Tatsächlich - eine nahezu ebene Piste, an die 250 m lang. Bei dem ständigen Passat für ein STOL- oder UL-Flugzeug kein Problem. Am Ende der Piste ist eine Betonplatte in den Boden eingelassen, ein steinernes Kreuz daneben:
AT REST RICHARD G. WOOD B.1860 D.1934
Auch von hier haben wir einen Überblick über das gesamte Tal. In der Mitte, ganz in der Nähe der Piste machen wir, versteckt zwischen hohen Bäumen, eine Hütte aus. Rauch steigt auf, sie ist also bewohnt. Ein alter Mann kommt den Hügel herauf. Er stützt sich auf das Kreuz. - Es ist Mr. Wood. Spicer Wood stellt er sich vor. Mit langsamer, weit ausholender Armbewegung sagt er, sich um die eigene Achse drehend: „All land, you can see from here, is my property. People call it Puercallis“. Alle fünf Täler, alle Hügel, alle Anstiege zu den Bergkämmen, bis oben hinauf - 1,2 km², ein wahrlich großes Karo. Nein, von der kleinkarierten Sorte ist er nicht, das merken wir schnell. Auch den Adlerhorst kennt er: „Never attempt climbing on that old holy place of the original inhabitants!“ Schließlich - es ist schon später Nachmittag - zeigt er uns den Abstieg zum Meer, reitet mit seinem Maultier voraus. Es ist ein halsbrecherischer Pfad. Im wahrsten Sinne: auf halbem Weg passieren wir die mit einem Holzkreuz markierte Stelle, wo sein Bruder vor zwei Jahren zu Tode stürzte.
Ein paar Tage später besuchte er uns. Er kam von der anderen Seite der Insel mit seinem Kanu. Ein-Zylinder-Diesel-Antrieb. Eine Stunde war er unterwegs und einen Riesenkorb Riesengrapefruits schüttete er uns ins Cockpit.
„You want to buy my land? I'll sell it to you!“ 80 Jahre ist er alt, will 'zurück nach Texas' ziehen. Nein, Kleinkariertes mochte er nie.
Gedanken-Sprünge !!
Jetzt will ich - ohne Systematik, ohne logische Folge und Berücksichtigung von Zusammenhängen oder Bedeutung für die physikalische Interpretation - einige
wenige der vielen interessanten Eigenschaften des Dorntorus-Verhaltens aufzählen, ganz bewußt bunt durcheinandergewürfelt. Das spätere Puzzle, das daraus zusammengesteckt werden kann, wird umso kurzweiliger werden dadurch. Und ich gebe Dir
die Chance, selbst Interpretations-Möglichkeiten zu entdecken.
es hagelt Katzen
Und jetzt - paß auf, Michel! - jetzt will ich die erste Katze aus dem Sack lassen - nein, nicht die berühmteste, die werde ich erst sehr viel später befreien -, jetzt will ich die erste physikalische Interpretation verraten:
Die Linie "t", die Symmetrieachse der ineinander geschachtelten Dorntori, die Seele des von der Spinndüse S gesponnenen Fadens, die Zahlenmenge, die die Leere immer und immer wieder durchzählte, die imaginäre Koordinate des komplexen Torusraumes (!), das ist ... die Zeit! Unser Jojosystem Dorntori rollt sich an der Zeit ab! Mit der Geschwindigkeit c.
Mit Lichtgeschwindigkeit, Katze Nr. 2!
Katze Nr. 3: Die einzige reelle Zahl, die die Leere versehentlich gezählt hatte, ist später in die Geschichte eingegangen - als "Plancksches Wirkungsquantum". Sie ist der Betrag, um den sich die Leere bei ihrem kurzen Stutzen bei 0,0072973527...(i) gedreht hatte.
. . . PAUSE . . .
Hier muß ich den Brief an Michel Dominetti unterbrechen, den ganzen Rest verwerfen bzw. umformulieren, denn seit meiner Rückkehr aus Australien haben sich die Ereignisse überschlagen. Sie betreffen die Katze Nr. 4. Mit Mühe und Selbstbeherrschung hatte ich sie schon vor Jahren in den Sack gesperrt und dort gut verschnürt schmoren lassen. Damals war sie ein junges unscheinbares Kätzchen, von dem ich allerdings schon annahm, daß es sich entwickeln und bei guter Fütterung zu einem stattlichen Tier heranwachsen werde. Ich ahnte, und jetzt weiß ich es: hätte ich sie früher freigelassen, wäre mir der stille Genuß meiner einsamen, spannenden Entdeckungsreise versagt geblieben. Jetzt habe ich ausgiebig genossen und mir ein anderes Projekt vorgenommen. Ich will dem wilden Zappeln und lauten Schreien nachgeben, hoffend, daß sie zu zähmen ist und sich nicht als wilde Bestie entpuppt. Also, ich wag's, öffne den Sack, lasse die Katze heraus. Es ist ein Kater! Ein gestiefelter. Mit seinen 7-Lichtjahr-Stiefeln wird er vermutlich von einem Physikalischen Institut zum andern springen wollen, auf jedem Schreibtisch, jedem Bildschirm, jeder Faxmaschine mit dem Abdruck seiner Sohlen den Stempel zu hinterlassen:
RÄTSEL DER FEINSTRUKTURKONSTANTE GELÖST
Das Kraftfutter, mit dem ich ihm schließlich zu seiner jetzigen Größe und seinem unbändigen Freiheitswillen verholfen habe, werde ich anschließend beschreiben, vorab dieser 7-Lichtjahr-Gedankensprung: Das kleine, unscheinbare Kätzchen war die intuitive Vermutung, daß die Abrollinie eines aus der Ferne ankommenden, also kleiner werdenden Dorntorus abrupt abbricht, wenn der Torus auf einen kongruenten trifft und beide die gleiche Lissajous-Figur aufweisen. Das Fehlen der gesamten restlichen Abrollinie hatte ich damals als „Ladung“ interpretiert, das Abbrechen selbst als Absorption eines Photons an einem Elektron, wie ich es ja schon in dem Brief an Michel einmal kurz andeutete. Und jetzt hat sich herausgestellt: die Länge der Abrollinie ab dem Torus der Meridianlänge 2 und mit dem Verhältnis von Umdrehungs- und Rotationgeschwindigkeit v = 1/2 bis hinunter zu infinitesimal kleiner Größe und v = unendlich , dieses Kurvenintegral konvergiert gegen einen festen Wert: 11,706. Das Verhältnis Plankscher zu Elementar-Ladung oder für ħ · c = 1 der Kehrwert der Elementarladung selbst. Dessen Quadrat ist die Zahl, die der Leere einst zum Verhängnis wurde. Sie heißt auch Feinstrukturkonstante. Kurz α .
Der Weg zu dieser Erkenntnis ist erzählenswert:
A wie Adlerhorst, wie Abrollinie und A wie Alpha
Bald nach meiner Rückkehr aus Australien flog Orchidee zu Familienbesuch für ein paar Monate nach Deutschland. Ich widmete meine Zeit notwendigen Wartungsarbeiten am Schiff, meinen Dorntori, mehreren Treffen mit Spicer Wood in Puercallis, gelegentlichen sozialen Kontakten zu anderen Seglern, aber auch einsamen Streifzügen durch die Insel. Trotz Spicers Warnung besteige ich noch einmal den Adlerhorst. Jetzt, mit frischer Erinnerung versehen, ist sofort klar: das Plateau ähnelt in auffallender Weise dem Mt. Beerwah. Alles drum herum ist grundverschieden, nur die Gipfel sind gleich. Selbst die Übereinstimmung der Feuerstellen mit jeweils einem Widderhorn darin - einfach unglaublich. Dort war es ein linkes, hier ist es ein rechtes. Es liegt noch da in den Scherben. Ich nehme es in die Hand, drehe und wende es. Es ist kein schönes Exemplar, nicht im entferntesten vergleichbar mit Michels Gehörn in Solmeto. Jenes war von bestechender Symmetrie, jedes Horn mehrfach spiralig verwunden. Dieses hat nur die Andeutung der Spirale. Im Geist setze ich die Linie fort. Wie lang es wohl werden würde, lebte das Schaf sehr, sehr lange, sagen wir 1000 Jahre? Würde die Spiralstruktur zunehmen und damit die Länge begrenzt bleiben? Belustigt sehe ich eine Analogie zu der Abrollinie meiner Dorntori, bei denen die Spirale bei Annäherung an infinitesimal kleine Größe mehr und mehr in Schlaufen übergeht, die sich unendlich dicht an Punkt S und den Dorn legen. Aber kann denn die Länge unendlich vieler Schlaufen begrenzt bleiben? Einen Moment fixiere ich mich an dem Gedanken und schon durchzuckt es mich wie ein elektrischer Stromstoß. Ich springe auf, werfe das Horn zurück in die Scherben, rase los. Wild schlage ich mit der Machete um mich, krieche, rutsche, springe, falle. . . . Ich weiß nicht mehr, welchen Weg ich nahm, aber ich erreiche die Stufen und Hohlgassen, die von unten her so undurchdringlich waren. Mit verzweifelten Schlägen hacke ich alles nieder, treffe den Stein, daß die Funken sprühen, zwänge mich durch Astgewirr und Dorngesträuch - spüre keinen Schmerz. Ich komme unten an, renne weiter zum Bootssteg. Ein Einheimischer sieht mich, ruft mir zu: „Hey, man, you'd a struggle, need help?“ Jetzt erst registriere ich: Hose zerrissen, Hemd in Fetzen, ich schweißtriefend, blutend. Ich rufe ein „Thanks, all o.k.“ zurück, springe ins Dingi, werfe den Außenborder an. Nach ein paar Metern bleibt er schlagartig stehen. Die Leine ist in die Schraube geraten. Ich nehme die Ruder, rudere wie wild. Nach wenigen Zügen bricht eine Dolle. Samt Kleidern springe ich ins Wasser, es ist ja nicht weit zum Schiff. Sofort fangen die Wunden mächtig an zu brennen im Salzwasser. Mit dem Beiboot im Schlepp erreiche ich das Schiff, binde eine neue Leine ein und, kaum abgetrocknet, fange an zu zeichnen und zu rechnen. Ein Dutzend Blatt Papier verschreibe ich, bis zum Schluß nur noch eine partielle Differentialgleichung dasteht. Mist! Die kann ich nicht lösen. Ich gehe alles nochmal durch, diesmal ganz langsam und konzentriert, aber es ist nichts zu machen, die Differentialgleichung bleibt eine partielle, die ich nicht lösen kann. Bleibt nur ein Näherungsverfahren mit dem Rechner. Das Programm ist einfach, besteht nur aus wenigen Zeilen, nach 20 Minuten läuft es wie es soll. Aber der Rechner kriecht mit seinen 75 MHz immer langsamer werdend der Abrollinie entlang - die ausgespuckten Werte ohne Aussage. Ich schreibe das Programm um, optimiere die Rechenschritte auf Zeiteinsparung, verzichte auf Bildschirmausgabe, lasse jede Minute die Zwischenwerte automatisch in eine Datei schreiben und starte das Programm neu. Jetzt ist nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu tun. Ich sinke erschöpft auf die Couch. Es ist gleich Mitternacht und ich habe seit dem Frühstück nichts gegessen und kaum getrunken. Ausgiebig hole ich alles nach während der Rechner rechnet und rechnet. Nach zwei Stunden fängt er an zu piepsen - zu geringe Spannung im Bordnetz. Ich vergewissere mich, daß die Werte ordentlich gespeichert sind und schalte ab.
Ausnahmsweise stehe ich früh auf. Der Windgenerator hat über Nacht für reichlich Energie gesorgt und so ist meine erste Tat des neuen Tages, den Rechner einzuschalten - noch vor dem Zähneputzen. 1.Juni, 06.30 Uhr ist seine erste Meldung - gestern war also der 31.Mai. Wo der Komet wohl gerade steht? Natürlich steht er vor Vieux Baron. Aber unwichtig. Was mich interessiert sind die Werte. Eigentlich weiß ich es seit zwei Jahren, aber auf die Idee, es auszurechnen, nein, darauf bin ich nicht gekommen. War es die unbewußte Angst vor der Enttäuschung? Oder das zwanghafte Denken, sich das Beste und Schönste noch aufheben zu müssen? Dabei liegt es so nahe, drängt sich geradezu auf, im Nachhinein betrachtet. Bin ich denn so bescheuert, daß mich erst ein häßliches, halb vergammeltes Widderhorn darauf stoßen muß? 11,706 . Hier steht es schwarz auf weiß. Vielfach hintereinander. Die Werte konvergieren gegen die reziproke Elementarladung! 11,706, bei ħ · c = 1. Quadriert 137,03. Eins durch Alpha ! Die Feinstrukturkonstante α. Der erste Wert, den ich diesem verdammten Hirngespinst entreiße, ist das wichtigste Rätsel der Physik. Ich lasse ein Diagramm ausdrucken. Abrollinienlänge gegen v. Bis knapp 80000 kam der Rechner bevor er streikte. Eine etwas seltsame Kurve: senkrechter Anstieg, nicht ganz ebenmäßiger Verlauf. Sieht auf den ersten Blick aus wie eine logarithmische Kurve, aber sie läuft horizontal aus, hat einen Grenzwert. Die Kurve gefällt mir nicht, aber sie steigt nur bis 11,706. - Ich schalte den Rechner ab, frühstücke in aller Ruhe. Der Bedeutung werde ich mir wohl bewußt, ich müßte Freudensprünge machen. Aber ich tu's nicht. Ich schalte auch meine Gedanken ab, widme mich Nebensächlichkeiten. Irgend etwas stört mein Glück.
Zwei Tage später nehme ich die ausgedruckte Kurve nochmal zur Hand. Warum ist sie nicht stetig, wie ich es erwartet hatte? Ja, gut, der Wert 11,706 müßte Grund genug sein zur Freude - er allein ist schon sensationell, aber wie kommen diese unschönen Knicke im Verlauf zustande? Meine Iterationsfunktion ist doch extrem einfach, nur aus stetigen Operationen zusammengesetzt. Und ich habe doch mit 16 Stellen gerechnet, es können keine durch Rundung entstandene Unstetigkeiten sein. Auch die mit ausgedruckten Werte für die Differentiale, die Iterationsschritte, verändern sich doch auch ohne erkennbare Sprünge oder Stillstände. Was steckt dahinter?
Ich optimiere das Programm weiter, kann die Rechengeschwindigkeit noch steigern durch einen zufällig entdeckten Trick: Offenbar wartet der Prozessor oder Display-Controller beim Durchlaufen der DO-Schlaufe jedesmal auf eine Anweisung für den Bildschirm, legt also eine winzige Pause ein, bevor weitergerechnet wird. Ich baue eine Verzweigung zu einem Unterprogramm ein, das eine Linie auf den Bildschirm zeichnet. Millionenfach dieselbe Linie. Mache ich aber das Unterprogramm zu einfach, funktioniert es nicht, es müssen Funktionen, z.B. trigonometrische, enthalten sein. Möglicherweise wird dadurch auch der Coprozessor aktiviert, der bei der extrem einfachen Funktion in der DO-Schlaufe sonst nicht benötigt wird. Hier, am Ende der Welt, muß man sich alles selbst mühsam erarbeiten. Es gibt niemanden, den man schnell fragen könnte, man hat keinen Zugang zu Literatur oder anderen Informationsquellen - aber gerade das ist es ja, was die Dinge so spannend macht. Wie dem auch sei, jedenfalls konnte ich die Rechengeschwindigkeit vervierfachen und dadurch bei gleicher Rechenzeit (Bordenergie ist ja begrenzt!) den Torus mit kleineren Differentialen drehen lassen.
Das schließlich auszudruckende Diagramm vergrößere ich über mehrere Blätter. Ganz langsam lasse ich die Kurve aus den vielen hundert Werten aufbauen, um ein Gefühl für die Dynamik zu erhalten. Wieder die Knicke! Und die Kurvenstücke dazwischen sind Geraden. Dann halte ich die Luft an: Die Gerade läuft mit spitzem Winkel auf den Grenzwert zu, den sie doch nur asymptotisch erreichen soll. Gleich schneidet sie die vorher eingezeichnete Linie beim Wert 11,7. Nein!! Ich traue meinen Augen nicht. Die Gerade knickt unmittelbar vor Erreichen dieses Wertes abrupt in die Horizontale ab. Das gibt's doch nicht! Ich weiß nicht, ob ich mir die Haare raufen oder Luftsprünge ob dieser Entdeckung machen soll. Ich entscheide mich für die Freude, entscheide mich dafür, diese Kurve als Sensation zu betrachten. Die Knicke sind Naturkonstanten! Und es sind stabile Werte. Ich kann getrost recht grobe Differentiale wählen. Schon 5° „differentielles“ Weiterdrehen des Torus pro Schritt führt zu den Konstanten. Es sind Attraktorwerte! Die Kurve ist eine Attraktorkurve! Noch nie habe ich eine so häßliche Kurve so attraktiv gefunden. Ich stoße Freudenschreie aus. Niemand hört mich. Auf der kleinen Insel vor mir wohnen nur ein paar Pelikane und Fregattvögel.
Die
Rechenvorschrift will ich nicht vorenthalten. Sie ergibt sich ganz einfach aus dem einzigen diskutierten Prinzip konstanter Abroll- und Rotationsgeschwindigkeiten und der Dorntorusgeometrie - genauer: der Geometrie in unmittelbarer kleiner
Umgebung von S (wie der Torus 'weiter draußen' aussieht, ist völlig unerheblich!):
DO
dL = L · dt (Abnahme der Meridianlänge)
dA = dL · (1 + k · L^2)^0.5 (Zunahme der Abrollinienlänge)
L = L · (1 - dL) (neue Meridianlänge)
A = dA + A (neue Abrollinienlänge)
LOOP WHILE . . (Exitfunktion und Interrupt für Werte-Output)
That's it! Die Kurve, deren Länge man damit berechnet, ist die Zykloide eines abrollenden und gleichzeitig kreiselnden Rades, das sich so verkleinert, daß kein 'Schlupf' am Auflagepunkt entsteht.
Dieses Luder !
Hat sie mich wieder eingefangen. Vorbei der prickelnde Reiz. Vorbei die Spannung. Soll wohl wieder arbeiten für sie? Denn was jetzt folgt, kann nur Arbeit bedeuten . . .
Aber ich mag sie - meine erste Liebe - trotz allem - immer noch - meine Physik
. . . und hier beginnt auch gleich die Arbeit - mit Gedanken, Bildern, Zahlen . . . :
Die etwas mehr ins Detail gehende Ausarbeitung des Dorntorus-Verhaltens ergibt sich ab hier - mit dem bisher Angesprochenen - fast von selbst. Wonach ich auch suche, wo immer ich ansetze - irgendwo im Modell finde ich stets ein dem Thema der Fragestellung assoziierbares Verhalten. Zunächst - ohne Mathematik - als Bild, in einigen Fällen, die sich mit meinen bescheidenen Kenntnissen und Möglichkeiten rechnerisch angehen lassen, auch als Zahlenwert. Zur Verifizierung sollen diese wenigen Fälle (ich werde einige mehr ansprechen) vorerst genügen. Wichtiger, da unabdingbar für den mathematischen Ansatz, ist der Dorntorus selbst, als Denkmodell zur Vorstellungshilfe. Ich will deshalb weiter in der bildhaften Ebene verharren und einige Punkte zur Anschauung und Assoziationsbildung hinzufügen. Wobei es auch hier in keiner Weise auf Systematik oder logischen Aufbau ankommt - im Gegenteil: ein Bild wird durch häufigen Wechsel des Blickwinkels schneller und genauer erfaßt.
Gedanken zur Zeit ...
Zunächst möchte ich auf die Katze Nr. 1, sozusagen die Urmutter aller weiteren, etwas näher eingehen. Wir haben uns also mit der Zeit auseinanderzusetzen. Damit liegen wir im Trend, denn dies ist ja seit Jahren ziemlich in Mode, und die Vielfalt der Meinungen und Zitierungen der größten Denker haben bereits eine erhebliche Konfusion geschaffen. Wenn ich neue Bekanntschaften schließe und erzähle, ich sei Arzt, hat jeder plötzlich irgendwo irgendein störendes Leiden. Erwähne ich aber, ich sei Physiker, dann ist die häufigste Bemerkung: „Was ist eigentlich Zeit? Die Frage beschäftigt mich heftig, aber ich weiß keine Antwort. Hast Du eine Vorstellung?“ Zugegeben - es ist kein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung. Weitab von den Charter-Revieren sind es Langzeit-Segler/Weltumsegler, die wir treffen, und die „haben ja die Zeit“, sich eben darüber Gedanken zu machen. In der Regel sind die Leute - berechtigterweise - frustriert von den in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen (auch namhafter Autoren) nachzulesenden Erklärungen und mit meinen (namenlosen) diesbezüglichen Gedanken stoße ich - verständlicherweise - ebenfalls auf Unverständnis. Sinngemäß bemerke ich hierzu:
„Zeit ist keine physikalische Grundgröße. Sie ist ein Parameter, eingeführt und benutzt zur einfacheren Beschreibung physikalischer Vorgänge. Die erlebte Zeit ist pure Einbildung unseres Bewußtseins, eine Fehlinterpretation unserer Sinneswahrnehmungen. Für die Funktion der Welt brauchen wir die Zeit nicht.“
Auch wenn die Thermodynamik irreversibler Prozesse, Deutungen der Quantentheorie (z.B. die irreversible Reduktion des Quantenzustands zum 'Zeitpunkt' der Messung) und die Beschreibung instabiler Bewegungen nicht ohne die Zeit und deren Richtung auszukommen scheinen, ich bin sicher und bleibe dabei: Zeit ist redundant bei der Naturbeschreibung. Alles, was nur durch die Existenz einer eigenen Entität Zeit erklärbar scheint, ist im komplexen Verhalten der Dorntori bereits enthalten. Und dieses Verhalten ist unabhängig von der zusätzlich eingeführten Hilfslinie t. Ein sehr, sehr großer Dorntorus, der sich beim Punkt S als sehr, sehr dünne, rotierende Röhre (mit trichterförmiger Öffnung ins Unendliche) manifestiert, tut dieselben Dienste. Eine solche 'Ersatzzeit' unterscheidet sich in keiner Weise von den kleineren Tori, mit denen wir Wechselwirkungen und ein Modell der realen Welt konstruieren werden. Sie rollt sich wie alle anderen Tori im Punkt S ab. Zeit - so man sie doch benutzt - fließt nicht, sie rollt ab!
Die in der ultimativen Übung (Gedankensprung 10) angesprochene mathematische Transformation macht aus jedem Dorntorus einen, der die Zeit - die Ersatzzeit - darstellen kann. Und die fantastische Möglichkeit, im Punkt S von einem Torus zum anderen, von einem Meridian zum andern zu springen, eröffnet ein ganzes Kino voller Bilder, die auch intrinsische (lokale) Zeiten plastisch anschaulich machen. Nur - ohne das immer wieder anzumahnende Eindenken in das Modell funktioniert es nicht. Reine, abstrakte Mathematik allein ist wenig hilfreich. Wir brauchen zusätzlich das Denkmodell, mit dessen Hilfe Assoziationen entstehen, die für den mathematischen Ansatz notwendig sind und die uns in die Lage versetzen, Eigenschaften der Mathematik - hier des Dorntorus-Verhaltens - zu interpretieren und mit physikalischer Bedeutung zu versehen. Wer zu folgenden Gedanken schon die passenden Assoziationen hat, wird mit einer ganzen Serie von Aha-Erlebnissen belohnt:
Nehme ich die sehr großen Tori, also auch die unendlich großen, die bei S identisch sind mit der Hilfslinie t, einfach weg, ändert sich nichts wesentliches am Verhalten der übrigbleibenden Tori. Gelänge es aber, über welchen Mechanismus auch immer, den unendlich dünnen Faden im Mittelpunkt des Torussystems durchzuschneiden - die ganze (Torus-)Welt wäre verschwunden. Unwiderruflich. Ohne Aufsehen, ohne Big Crunch. Mit anderen Worten: Um die Zeit anzuhalten, genügt es nicht, nur den Parameter zu entfernen. Ich muß dazu den ganzen Inhalt der Welt entfernen. Und ich habe keine Chance, die Zeit genau am Haltepunkt weiterlaufen zu lassen. Ich muß wieder Ewigkeiten warten, bis die Leere, die sofort den Platz einnimmt, sich beim Auf- und Abspulen ihrer imaginären Zahlen möglicherweise ein weiteres mal verhaspelt.
Und jetzt ein wichtiger Punkt: Drehe ich die Abrollrichtung global um - die ursprüngliche Auswahl war ja willkürlich -, ändert sich am Verhalten der Tori und ihrer Abrollinien gar nichts ! Der einzige Effekt - globales Umklappen der Chiralität bzw. Parität - bleibt unbemerkt. Alle Meßgeräte klappen ja mit um. (Klammheimlich nehme ich vorweg, daß Rotation u.a. auch mit Spin zu assoziieren ist.)
Hier tritt zum ersten Mal deutlich die Nichtlokalität des Modells zutage. Nur lokales Umdrehen der Abrollrichtung, also nur für einzelne oder eine bestimmte Auswahl von Tori, läßt diese aus dem Gesamtsystem aller aneinander abrollenden Tori völlig verschwinden. Sie sind jetzt Teil der überall koexistierenden, aber nicht wechselwirkenden Antiwelt (Spezialfälle klammere ich mal aus. - Und die zahlreich auftauchenden Katzen numeriere ich im übrigen nicht mehr durch).
Man sieht: Zeitumkehr ist im Dorntorus-Modell etwas grundlegend anderes als die Umkehr des klassischen Geschwindigkeitsvektors bei Bewegungen und auch etwas grundlegend anderes als die Umkehr des Zeitpfeils bei irreversiblen Prozessen - seien diese thermodynamisch oder quantenmechanisch. Die Irreversibilität ist dem Abrollen der Tori inhärent! Irreversibilität ist der Normalfall, alles andere sind makroskopische Spezialfälle! Man hat es beim Übergang von der klassischen - auch relativistischen - Physik zur Physik irreversibler Vorgänge nicht mit dem Verlust der geliebten Reversibilität zu tun - sie war ja ursprünglich Vater der Idee von einer zeitlosen Welt -, sondern mit der Entdeckung eines übergeordneten Prinzips 'Irreversibilität'. Und unser Weg dieser Entdeckung läßt die Welt weiterhin zeitlos sein! Auch Entropie rettet nicht die Zeit und deren Richtung. Sie ist Ausdruck und redundante Beschreibung des allgegenwärtigen Prinzips Irreversibilität, wird zum Verständnis der Dinge also ziemlich überflüssig - weit davon entfernt, grundlegende physikalische Größe zu sein.
Zugegeben - mit ihrer Hilfe läßt sich Thermodynamik sehr elegant formulieren - die Schönheit dieses Formalismus will ich auch gar nicht schmälern -, aber als physikalische Größe wird Entropie manchmal etwas - fast mystifizierend - überbewertet. Ich konnte sie nie sonderlich leiden. In meinem Weltbild aus 'reinen' Eigenschaften hatte sie einfach keinen Platz an so vorderer Stelle. Jetzt ist es mir eine besondere Genugtuung, ihre Bedeutung wie einen häßlichen Käfer mit dem Daumen auf der Schreibtischplatte zu zerquetschen. Entropie legt nicht mehr den Zeitpfeil fest, denn in der Toruswelt nimmt sie auch bei rückwärts laufender Zeit zu.
Auch Probleme mit Kausalitäten, die ja eng mit dem Zeitpfeil zusammenhängen, lösen sich sang- und klanglos in Wohlgefallen auf: rückwärts laufende Zeit ändert nichts an Wechselwirkungen, Kausalitäten bleiben also auch bei Zeitumkehr erhalten. Die ganzen Schwierigkeiten waren entstanden durch die vom Blickwinkel des klassischen Spezialfalls sich ergebende Fehlidentifizierung der Zeitumkehr (Engramme!!). Und ganz ähnliches wird dem Begriff Determinismus widerfahren. Doch das spare ich mir auf, bis Wechselwirkungen genauer definiert sein werden.
Ich rede immer von der Ersatzzeit, von der Hilfsgröße t. Aber welche andere Größe tritt an die Stelle der Zeit, wenn ich sie als 'reine Eigenschaft' gar nicht brauche? Welche meiner reinen Eigenschaften beinhaltet die Zeit? Viel Auswahl habe ich nicht, denn als solche Eigenschaften des Dorntorus kenne ich ja nur die Abroll- und Rotationsgeschwindigkeiten, zusammen mit dem Prinzip deren Konstanz. Die daraus folgenden, zu identifizierenden, per Anschauung assoziierbaren Eigenschaften - Meridianlänge (Größe des Torus), Abrollinienlänge (Zusammenhang mit Wechselwirkung), Anzahl Rotationen (und damit Rotationswinkel), Anzahl Umdrehungen (Schlaufen, Lissajous-Figur) - sind bereits abgeleitete Größen, doch immerhin im System enthalten, nicht wie t künstlich hinzugefügt. Fürs erste will ich der Strecke t2 - t1 auf t die abgerollte Meridianlänge L2 - L1 eines Torus äquivalent setzen. t hat also etwas mit der Torusgröße zu tun. Die genauere physikalische Interpretation muß ich wiederum verschieben, bis ich mehr 'Freiheitsgrade' freigelegt habe, um mich im Modell hin und her bewegen zu können. Daß ich t als Imaginäranteil bei der Torusdarstellung komplexer Zahlen ansehe, habe ich bereits erwähnt. Verwerfe ich nun t, tritt hier die Torusgröße an ihre Stelle.
Die Assoziierung einer geometrischen Figur ist übrigens keine Zusatzangabe bei der Charakterisierung einer Zahl, genausowenig, wie die Multiplikation der reellen Zahl beta mit der imaginären Einheit i eine notwendige Zusatzangabe ist oder wie die Vorstellung, die Zahl liege an bestimmter Stelle auf einer Geraden. Als Grundschüler zählten wir Äpfel und Birnen mit denselben Zahlen, mit denen ich jetzt Torusgrößen festlege. Das macht keinen Unterschied. Die Torusgröße ist genauso lediglich eine Zahl - hier eine imaginäre - wie der Korb voller Äpfel auch nur eine einzige Zahl - eine ebenso abstrakte, natürliche - repräsentiert. - Der Mathematiker in Dir möge mir meine grobe 'Zahlentheorie' nachsehen! Ich glaube, worum's geht, ist klar.
So viel zu t.
... zur Lichtgeschwindigkeit ...
Statt Äpfel und Birnen, statt Markierungen auf einer Zahlengeraden, hatte sich die Leere damals die ineinander geschachtelten Dorntori ausgewählt. Sie, Inbegriff der Faulheit, wählte diese Darstellung aus gutem Grund: Zum Zählen muß sie sich nur ein kleines Schrittchen von ihrem Lager, dem Punkt S, wegbewegen, um die Zahlen erkennen und unterscheiden zu können. Sie muß keine großen Spaziergänge auf der unendlich langen Zahlengeraden unternehmen. Doch selbst dieses kleine Schrittchen war ihr noch zu viel, denn es war mühsam, nur anhand der Krümmung die Größe des Torus und damit dessen Bedeutung als Zahl zu erkennen. Sie verfiel auf folgenden genialen Trick: Sie schubste das ganze System in ihrem Punkt S ein klein wenig an, so daß alle Tori begannen, sich aneinander mit dieser kleinen Geschwindigkeit abzurollen. Der Hintergedanke der Leere war natürlich das Vereinfachen des Zählens: Das Erkennen der Torusgröße ist jetzt gleichbedeutend mit dem Erkennen der Winkelgeschwindigkeit der Umdrehung eines einzelnen Torus. Und hierzu muß sie sich nur noch infinitesimal wenig von S wegbewegen. Jede Torusgröße ist im Punkt S durch eine ganz bestimmte Winkelumdrehung repräsentiert. Nichts hindert die Leere, diese Winkelumdrehung statt Äpfel und Birnen zum Zählen zu verwenden. Es macht keinen Unterschied, ob sie eine Zahl oder deren Kehrwert zählt, wenn sie nur stets den Kehrwert verwendet. (Das hatten wir ja gesehen: Winkelumdrehung ist Kehrwert der Torusgröße.) Und es ist auch völlig gleichgültig, wie sehr sie die Tori geschubst hat. Die Zuordnung Größe - Winkelumdrehung ist eineindeutig, sobald die Abrollgeschwindigkeit einen festen Wert ungleich Null hat. Gemessen an der 'Vergrößerungsstufe', die wir beim Betrachten des Systems der ineinander geschachtelten Dorntori wählen, kann diese Abrollgeschwindigkeit winzig klein oder riesig groß sein. Völlig gleichgültig. Bei der Wahl der entsprechenden 'Vergrößerungsstufe' haben wir exakt dieselben Verhältnisse. c ist zunächst kein absoluter Wert. Erst die Wahl der 'Vergrößerungsstufe', das Herausgreifen einer bestimmten Torusgröße als Basis - als Zahl -, das Zählen einer einzigen Zahl weist der Abrollgeschwindigkeit ebenfalls eine feste Zahl zu.
Zwar werden wir die Bedeutung von c als Lichtgeschwindigkeit erst anhand von 'Wechselwirkungen' erkennen, insbesondere beim Thema (spezielle) Relativität, aber wir machen nichts falsch, die vorerst dimensionslose Abrollgeschwindigkeit mit der Lichtgeschwindigkeit zu assoziieren oder gleichzusetzen und damit - jetzt von der Seite der Geschwindigkeit kommend - die Vergrößerungsstufe der Betrachtung festzulegen. Ohne dieses künstliche Hinzufügen einer Zahl als Basis, als Auswahl der Vergrößerungsstufe, in der wir das System der Dorntori betrachten, verfügen wir, wie wohl deutlich geworden ist, über keine absolute Metrik. Nur relative Größen erlaubt die Selbstähnlichkeit, (spezieller:) die „Skaleninvarianz“.
So viel zu c.
... zur Plankschen Konstanten ...
Die Situation ändert sich dramatisch, wenn zusätzlich zur konstanten Abrollgeschwindigkeit ein einziger - beliebiger - Betrag eines Winkels hinzugefügt wird, um den alle Tori simultan und fortlaufend rotieren. Gleichgültig, wie groß ich die Rotation wähle, diesem bestimmten Rotationswinkel entspricht genau eine Abrollstrecke während der Rotation um diesen Winkel. Ich kann jetzt nämlich Rotieren und Abrollen jeweils aufeinander beziehen: als Abrollstrecke pro Rotationswinkel ω oder pro voller 2 π-Rotation bzw. umgekehrt als Anzahl Rotationen pro abgerollter Strecke L oder als Größe des Rotationswinkels ω pro abgerollter Strecke c. Und das Bemerkenswerte dabei ist die Entdeckung, daß dieser hinzuzufügende Winkel pro Abrollstrecke, diese Rotationsgeschwindigkeit (wir hatten sie „ro“ genannt), wirklich frei wählbar ist, wie auch c frei wählbar war. Wie auch immer ich ro wähle - einmal ausgewählt und konstant gehalten, befinde ich mich stets im exakt gleichen Torusbild mit exakt gleichem Verhalten. Wiederum ist es lediglich die Vergrößerungsstufe, die durch die Wahl der Rotationsgeschwindigkeit ro festgelegt wird. Kleines ro, gemessen am vorbestehenden Betrag für c, versetzt uns in den Bereich kleiner Tori, deren Meridianlängen klein gegen c sind, die also schnelle Wulstumdrehung wu durchführen. v = wu : ro ist hier groß. Umgekehrt läßt großes ro die Meridianlängen groß gegen c oder - gleichbedeutend - c klein gegen die Meridianlängen erscheinen. v ist dann klein. Aber dies ist tatsächlich jeweils nur die Auswahl der Vergrößerungsstufe! Durch Vergrößern/Verkleinern des Torus nach Vorschrift (konstante Abroll- und Rotationsgeschwindigkeiten) kann ich wieder jeden beliebigen Wert für v herstellen. Worin besteht dann aber das Neue, das Besondere, das Sensationelle?
Wir verfügen jetzt über eine absolute Metrik!
Der frei gewählte Rotationswinkel - nennen wir ihn doch gleich ħ - ist die Einheit, ist der kleinste vorkommende Betrag für die Rotation. Und der Wert für ħ legt sofort die Größe der Lichtgeschwindigkeit c fest, denn aus den Betrachtungen über Selbstähnlichkeit, Skaleninvarianz und Vergrößerungsstufe folgt die Reziprozität der beiden Größen. Die Wahl eines Proportionalitätsfaktors ε (= ePlank²) = ħ · c generiert die Einheit für c und damit auch für die Länge. Wir wählen fürs erste ħ · c = 1.
Die Toruswelt besteht bis hierher aus zwei qualitativ völlig unterschiedlichen Entitäten oder - in meinem Sinne noch abstrakter :- Eigenschaften. Einmal die kontinuierliche (?!, s.u.) Abrollbewegung (wu) mit konstanter Abrollgeschwindigkeit c (in Längen gemessen), zum andern die diskontinuierliche, aus diskreten Winkeln der festen, konstanten Größe ħ zusammengesetzte Rotation (ro). Später, wenn das Bild der Lissajousfiguren ganz klar sein wird, werden wir sehen, daß die Anzahl Rotationen tatsächlich und ohne Benutzung des Begriffs 'Winkel' gezählt werden kann. - Und langsam nähern wir uns auch der Vorstellung von der Torusdarstellung komplexer Zahlen. Hier will ich nur kurz ohne Erläuterung daran erinnern:
Torusgröße ist imaginär, Rotation reell.
... zu Alpha, nochmal ...
Mein spontanes Gefühl - einige Wochen zurück - als der Rechner das allererste Mal den Wert 11,706 ausspuckte, war: irgend etwas stimmt hier nicht! Das Gefühl war stärker als die Freude damals. Erst Tage darauf, als beim nächsten Durchlauf - mit anderen Differentialen - der Wert 11,6901 herauskam, war ich überzeugt, eine Entdeckung gemacht zu haben. Auch mehrere weitere Rechnungen mit jeweils veränderten Schrittweiten führten in unmittelbare Nähe des Werts 11,7.
Inzwischen habe ich die Rechenvorschrift und die zugrundeliegende Differentialgleichung etwas analysiert, nochmal vereinfacht (Rechengeschwindigkeit verzehnfacht) und weiß jetzt: das Abknicken der aus den Werten gewonnenen Kurve und der Grenzwert selbst entstehen durch die begrenzte Genauigkeit der Rechnung. Wird der Summand dA kleiner als die letzte Stelle der Fließkommazahl, die der Rechner benutzt, wird er einfach unterschlagen, und die Summe A bleibt beim aktuellen Wert stehen, auch wenn sich alle anderen, in die Rechnung eingehenden Größen weiter verändern. Insofern ist es für mich ein unfasslicher, unglaublicher, Wahnsinns-Zufall, daß meine Parameter und die frei gewählte Genauigkeit der Rechnung diese Werte lieferte. Gut, daß ich damals keine Lösung der Differentialgleichung suchte - ich hätte unendlich erhalten. Das alte Problem, das letztlich zu den Eichtheorien zwang!
Nun - ich bin gewohnt, Zweifel positiv zu sehen, konstruktiv zu benutzen und erst mal ein Liedchen zu singen. In diesem Falle ein Hohes Lied an den Computer. Sein größter Mangel ist nämlich hier seine Stärke: er kann nicht genau rechnen. Und wenn eben dies jetzt jemand einwendet, kann ich nur erwidern: „Danke für den Hinweis. Mir zeigt dies, daß die Natur ebenfalls nicht genau rechnet. Reelle Zahlen mit unendlich vielen Stellen hinter dem Komma sind in der Natur nicht verwirklicht, es gibt sie schon seit dem großen Abschlachten kurz nach dem Falschzählen der Leere nicht mehr. Unsere reellen Zahlen tragen ihren Namen zu Unrecht! In der Realität kommen nur noch diskrete Werte vor - Kontinuum ist illusionäres mathematisches Konstrukt - und das spurlose (?!) Verschwinden der meisten Zahlen hat weite Lücken im reellen Zahlenraum hinterlassen (manche nennen dies 'inflationäres Szenarium'). Nein, lieber Kritiker, gegen den Dorntorus und seine Abrollinie mußt Du schon stärkere Geschütze auffahren.“ Aber nichts für ungut! Für die Nützlichkeit des Denkmodells (!) Dorntorus lassen sich eben immer Argumente finden. - Und hier will ich auch gleich eine weitere Eigenschaft der Abrollinie verraten, die aus der Rechenvorschrift und damit aus dem allgemeinen Prinzip konstanter Abroll- und Rotationsgeschwindigkeit folgt:
Pro 360°-Rotation nimmt die Abrollinienlänge um den Betrag eins zu! Ja, exakt 1,000000... - so exakt, wie eben noch unterscheidbare Zahlen zur Verfügung stehen im Rechner oder in der Natur. Was bedeutet dies? Die Vorstellung von der Rotation ist redundant. Rotation ist in der Abrollinie bereits enthalten! Die Nachkommastellen ihrer Länge sind gleichbedeutend mit dem Bruchteil einer vollen Rotation. 2,25 entspricht demselben 90°-Längenkreis wie 3,25 oder 4,25 usw. (Voraussetzung war: Einheitstorus mit v = 1 hat Meridianlänge 1. Wählt man statt dessen den Wert 2 π, bedeutet dies nur den Übergang ħ nach h.)
... zum Weinberg-Winkel ...
Meine Vorgehensweise zur Erkenntnisbildung ist inzwischen, gelinde gesagt, ziemlich unwissenschaftlich. Das gebe ich zu. Ohne Programm und Systematik, nicht streng logisch, nicht exakt und lückenlos induktiv, nicht aufbauend auf Bestehendem, Bewiesenem, Akzeptiertem - nein, so funktioniert Wissenschaft nicht. Das sehe ich auch so. Ich betreibe keine Wissenschaft - ich vertreibe mir die Zeit mit Spielen! Spiele mit eingedellten Murmeln, mit Jojos und Kreiseln, mit Figuren, Linien und Zahlen. Beispiel Weinberg-Winkel:
Ich nehme mir vor, in meinen Lissajous-Figuren, Abrollinien, Zahlenverhältnissen und Rotationswinkeln ein wenig nach dieser Konstanten zu stochern. Wo und als welche Größe könnte sie auftauchen? In Gedanken habe ich die Lissajous-Figuren für v = 1/2, 1, 2 und 3 schon vergeben (Elektron, Myon?, Nukleonen und Quarks). Die nächste ist die für v = 4. Wäre das nicht eine geeignete Kandidatin für die schwache Wechselwirkung? Die vierblättrige Figur könnte vielleicht mit den in Viererguppen auftretenden Fermionen und Austauschteilchen assoziiert werden: γ, Z0, W+, W- ? In meinem Spiel ROTATION.BAS lasse ich die eingedellte Murmel zwischen v = 1/2 und v = 4 auf ihrem Jojo-Faden abrollen und kreiseln, registriere in groben Schritten die sich verändernden Größen v, Abrollinienlänge, Rotationswinkel. Bei v = 1 halte ich an, notiere den Rotationswinkel ω rund 249°. Weiter kreiseln bis v = 2, ω rund 498°, dann v = 3 und ω rund 644°. Schließlich - bei v = 4 - der Rotationswinkel : ω rund 747° . . . . . Das ist doch schon mal nicht ganz schlecht. - Ich spiele ein Jumbo-Spiel!
Ich will es genauer wissen, teile den Jojo-Faden zwischen v = 1/2 und v = 4 in hunderttausend Schnipsel auf. Der Rechner braucht ganze fünf lange Minuten, diese alle einzeln zu analysieren. Jetzt wird's spannend! Bei v = 4,000000 ist die Abrollinienlänge 2,07944 und ω = 748,6°. Was liegt näher, als zwei volle Rotationen abzuziehen? Ich erhalte ω' = 28°36'. Dies ist der Winkel, um den eines der Blätter der Lissajous-Figur für v = 4 gegenüber dem einzelnen Blatt für v = 1/2 (Elektron, Ausgangswinkel ω = 0) rotiert ist. Die drei anderen Blätter der Figur <Skizze> sind gegen das erste um 90, 180 und 270° rotiert, d.h. die Linearkombinationen aus Sinus- und Cosinus-Funktionen bleiben für diese Blätter dieselben, wie es in der entsprechenden Eichtheorie sein soll. Der mir hier an Bord zugängliche Wert für den Weinberg-Winkel θW von 1991 ist 28°39' ± 20'.
Mein Spiel macht Spaß!
Pocalis Ermita S.A. - Jardin Tropical
Die Aktualität und Authentizität der Ereignisse während des Verfassens dieses Textes ist im Begriff, das ursprüngliche Vorhaben erneut zu überholen. Erst war es der Brief an Michel, den ich nicht an den Mann bringen konnte. (Noch immer weiß ich nichts über seinen Verbleib - werde bei nächster Gelegenheit in Korsika nachforschen.) Dann, Wochen später, notwendig gewordene Umarbeitungen wegen neu auftauchender und sich wandelnder Interpretationen im Zuge der Bemühung um die Konsistenz des Modells, zunächst in Form von Gedanken, Bildern, Zahlen, ..., groben Notizen. Schließlich - meine Hauptbetätigung - der Versuch, letztere in lesbaren Text zur Verteilung an Freunde umzusetzen. Und jetzt, mitten in dieser Arbeit - ich nenne es „Spiel“ - steigt aus einer Serie von Zufällen eine Sache mit nicht zu bremsender Macht über das Niveau flüchtiger Träume, drängt sich als imperative Notwendigkeit in den Vordergrund des Tagesgeschehens:
Puercallis.
Unzählige Male haben Orchidee und ich die Beschwernis des neunzig-minütigen Aufstiegs auf uns genommen. Stets wurden wir belohnt mit dem intensiven Erleben üppiger Natur, mit dem fantasiebeflügelnden Genuß stiller Abgeschiedenheit. Jedesmal schürten wir das Aufflammen verschütteter Träume ein wenig mehr, kamen einen weiteren Schritt näher an die Sicherheit:
dieses Stück Insel ist eine Kostbarkeit - und sie ist für uns bestimmt!
Wir haben ein neues Projekt. Und es erfordert Einsatz. Der Schwung ist da - der Haken auch: Eine Sache abzuschließen, bevor ich eine neue beginne, war bisher zwingendes Prinzip für mich. Ich kann keine zwei wichtigen Dinge zur gleichen Zeit tun! Wie soll ich vor mir rechtfertigen, es diesmal anders zu handhaben? Soll ich die Geschichte meiner Tori zur Unwichtigkeit degradieren? Nach all den Investitionen an Gedanken und Zeit? Soll ich Puercallis vergessen oder verschieben? Vergessen? - es wird nicht gelingen, und verschieben heißt, eine sich bietende, sich aufdrängende Chance zu vertun. Spicer ist 80 Jahre alt, will nach Texas. Soll ich doch versuchen, mich beidem zu widmen? Nein, das traue ich mir nicht zu. Beides erfordert ausschließliche Hingabe, ist Gedankenwelt und Tagesablauf bestimmender Inhalt.
. . . aber sagte ich nicht, ich spielte ein Spiel? . . . . . . spiele ein Spiel? . . .
. . . ich spiele ein Spiel !!!
Das Spiel kann ich verschieben - das Spiel ist nicht so wichtig. Die Spannung kann und wird es nicht verlieren. Das Wichtige, die Gedanken, Bilder, Zahlen, ..., grobe Notizen sind im Kasten. Das Wichtige kann ich getrost als abgeschlossen betrachten. Mein Spiel kann warten, bis ich weiterspiele.
Das neue Projekt scheint ein wenig mehr als ein Spiel zu sein:
Zunächst muß ich die Landessprache erlernen (Orchidee hat mir dies voraus), denn nur ein Teil der Inselbewohner - viele davon britischer Herkunft - sowie die nicht wenigen Ausländer, die sich bereits hier niedergelassen haben - Amerikaner, Kanadier, Deutsche, ... - sprechen Englisch, nicht aber die Vertreter von Behörden und offiziellen Institutionen.
Unzählige bürokratische Hürden stellen sich in den Weg. Da Ausländer kein Stück Land größer als 3000 m² erwerben dürfen, bleibt nur die Gründung einer inländischen Aktien- und gleichzeitig einer Holding-Gesellschaft für den Erwerb aller Anteile ersterer. Das läßt sich mit Hilfe eines guten Anwaltes durchführen. Dann muß das Land vermessen und parzelliert werden - Voraussetzung für Grundbuch-Eintrag. Hunderte Grenzsteine müssen gegossen und gesetzt werden. Ein Maultier trägt zwei Säcke Zement und ist vier Stunden unterwegs, hin und zurück. Ein Trupp Träger mit Tieren ist zwei volle Wochen beschäftigt, eine Grundausstattung an Materialien, Geräten, Werkzeugen und Lebensmitteln aus dem Depot am Strand über den 330 m hohen Pass in unser Hochtal zu transportieren.
Das meiste müssen wir erst noch besorgen - anderswo. Die USA sind das nächst erreichbare Land mit akzeptablen Einkaufsmöglichkeiten. Auch ein UL-Flugzeug finden wir nur dort. Es ist eine weite Reise für ein Segelboot. Und all die Dinge liegen nicht im Hafen bereit zum Einladen. Es kostet viele Wochen, die Liste mit den tausend Punkten abzuhaken - oftmals nur in Form von Bestellungen: Geräte für die Elektro-Anlage wie eine kleine Wasserturbine, Solarmodule, großen Windgenerator, Batterien und Zubehör, Maschinen und Werkzeuge, besondere Baumaterialien, Pumpen und Rohre, Material zum Bau einer Lasten-Seilbahn, Zelte und Planen, Garten- und Haushaltsgeräte, Funkausrüstung, Satellitenantenne für späteren Telefonanschluß, Computerzubehör, Druckerpapier (für die Fortsetzung des Spiels!), wasserdichte Container (tropische Regengüsse sind alles durchdringend), allerlei Farben und Chemikalien, zentnerweise Kleinteile, Sicherheits- und Alarmeinrichtung für das zeitweise verwaiste Schiff - es sind tausend Dinge . . . Alles paßt nicht in unser Boot. Ein Container muß per Schiffsfracht auf die Reise geschickt werden. - Ob er wohl je ankommen wird?
Wenn das Projekt einmal steht - ich veranschlage drei Jahre -, soll es Autarkie bieten, soll Zulieferung von außen auf ein Minimum reduziert sein. Das Land muß uns sowie eventuell hinzustoßende Partner und Gäste ernähren, die technische Einrichtung muß störungsfrei funktionieren, also entsprechend sorgfältig geplant und installiert werden. Die Aufgabe ist reizvoll, ist Herausforderung an Einfallsreichtum und Kreativität - ist doch wieder ein Spiel? Ein Spiel mit Regeln, die ich noch gar nicht kenne! Aber gerade das ist ja meine Leidenschaft: Spielregeln entdecken. Ich werde weiterhin auf meine Kosten kommen. Und Orchidee brennt darauf, ihren tropischen Garten zu bestellen.
Pocalis Ermita S.A. - Jardin Tropical - so heißt der Garten.
... und zum Rest der (Torus-)Welt ...
Meine bisherigen Ausführungen, den Dorntorus als Denkmodell (nichts anderes!) für eine physikalische Realität betreffend, übersteigen nicht die Stufe der Andeutungen, wie auch das Spielen mit Zahlen bislang eben dies ist: ein Spiel. Das „einfache Prinzip“, die Grundlage für die vereinheitlichende physikalische Interpretation ist jedoch voll enthalten, wenn auch nicht offen ausgebreitet, mitunter sogar sorgsam verborgen - zwischen den Zeilen, zwischen den Dornen, mitten in S . . . (s. Prolog. Statt der „Quelle allen Zaubers“ könnte dort auch - prosaischer - stehen: „Quelle des ganzen Zaubers“).
Neigst Du - wie geschehen - zum Kommentar: „Wong, das ist ja alles schön und gut, zumindest recht originell, aber der Raum um uns herum ist doch nun mal so wie wir ihn sehen und die Zeit vergeht doch einfach, da kannst du doch mit deinen neuen Theorien nichts ändern dran . . .“, dann kann ich Dir nur beipflichten: „Du hast recht. Das Leben ist auch ohne Dorntorus interessant. Die Spielregeln reichen aus - wozu die neuen? Vergiß die Sache, laß uns ein anderes Spiel spielen miteinander.“
Hast Du aber eine mehr metaphysisch orientierte Denkweise und erscheinen Dir die philosophischen Probleme, wie sie aus den Deutungen der physikalischen Realität erwachsen, ebenfalls als häßliche Dissonanzen, dann kann ich Dich nur ermuntern, Dich selbst - und etwas tiefer - in das Bild einzudenken. Es lohnt sich! Fragen und Rätsel reduzieren sich auf Vexierbilder. Schau sie Dir an und staun über die Harmonie des Chaos.
Als - vorläufige - Vorab-Hilfestellung nur noch einige wenige grobe Hinweise: (Die meisten der Versprechen und Verweise von weiter vorn müssen sich leider auf die Fortsetzung beziehen.)
Im Dorntorusbild sind verschiedene Teilchen nicht voneinander unabhängige wechselwirkende oder Wechselwirkung vermittelnde separate Entitäten. Jedes Teilchen ist nur Ausschnitt aus einem Gesamtsystem, das alle anderen Arten ebenfalls enthält, ist nur die Struktur einer einzigen Dorntorus-Abrollinie, wie sie beim Herausgreifen einer ganz bestimmten Vergrößerungsstufe in Erscheinung tritt.
Physikalische Eigenschaften - Größen - reduzieren sich auf das (komplexe!) Verhalten der Abrollinie, insbesondere den Unterschied zwischen Abrollinien- und Meridianlänge (Zusammenhang mit Wechselwirkung und „Ortsveränderung“), die auf diesem Verhalten beruhende Größenänderung aneinander abrollender Tori sowie den „Winkel“ zwischen den Schlaufenanfängen verschiedener Tori im Punkt S. „Anziehungskraft“ - zum Beispiel - kann als Verkleinerung dieses Winkels, d.h. als Rotation der gesamten, ein Teilchen repräsentierenden Lissajousfigur hin zum Schlaufenanfang einer anderen Figur oder eines Systems anderer Figuren beschrieben werden, ist demnach abgeleitete Größe, zurückzuführen auf „Länge“. Die Einbettung des dreidimensionalen Raumes der Anschauung in den dimensionslosen oder auch beliebig-dimensionalen Torusraum zu beschreiben, erfordert ein klein wenig Mathematik, aber sie ist durchaus möglich und die Prozedur eröffnet neue Einsichten. Räume beliebiger Dimensionszahl sind enthalten!
Koppelt ein Boson an ein Fermion an, ist dieses Boson nicht plötzlich verschwunden. Das Torusmuster „außerhalb“ des Wechselwirkungsortes bleibt exakt dasselbe, nur ist jetzt die Abrollinie des Boson-Torus dem durch die Absorption veränderten - angeregten - Fermion zuzuschreiben.
Dieses Torusmuster, d.h. die Anordnung aller ineinander geschachtelten Dorntori, das Muster der aufeinander folgenden Größenverhältnisse, könnte eine neue - noch spekulative - physikalisch wirkende Größe sein. Nicht nur in nächster Umgebung des betrachteten Punktes S als kleine Tori vorhanden, sondern bei größerer „Entfernung“ als gleiches Muster eben größerer Tori sich fortsetzend und im gesamten Torus-Raum verteilt, könnte es vielleicht mit dem durch die Literatur geisternden Begriff „morphogenetisches Feld“ in Zusammenhang stehen, könnte verantwortlich sein für Rätsel der Synergetik, für dissipative Strukturen bis hin zu - hier vernehmliches Räuspern - unerklärlichen Navigationsmethoden mancher Wandertiere und Psi-Phänomenen (diese tauchen schließlich in jeder Hausfrauen-Wissenschaft und Stammtisch-Philosophie auf, fühle mich daher, um dem Bild vom Laiendenker voll zu entsprechen, zu solchen Assoziationen geradezu verpflichtet).
Reduktion des Zustandsvektors im
Quantensystem entspricht dem relativ willkürlichen oder auch „zufälligen“ Herausgreifen einer ganz bestimmten Abrollinie eines Torus, auf die alle anderen bezogen werden (s.a. Gedankensprung 10). Dies - allerdings - als Fixierung einer
Momentaufnahme, als „Einfrieren“ des Gesamtzustandes zu sehen, als objektive Messung zu interpretieren und daraus Folgerungen für die Realität abzuleiten, dies ist reine Illusion. Das dynamische System läßt sich nicht anhalten! Jede
Messung bleibt immer mit dieser Illusion verknüpft, ist unmittelbar von den Eigenschaften unseres, die Illusion tragenden, Bewußtseins abhängig, läßt sich nicht vollständig von Engrammen abstrahieren:
Die - übergeordnete - Realität bleibt uns unzugänglich.
Heute, sechs Monate, 1 Woche und 1 Tag später, steht der Mond wieder exakt in Verlängerung unseres Masts, ganz in der Nähe unseres damaligen Ankerplatzes, diesmal kurz nach 03 Uhr Ortszeit. Heute, nach diesem ereignisgespickten halben Jahr, am 1. Oktober 1996, auf Position 16°28' Nördliche Breite, 85°50' Westliche Länge.
. . . hier brech' ich mal ab, laß' es vorerst dabei bewenden, laß' andre ran . . .
Ich bin mir sicher, daß es noch viele andere Zugangswege zu einem einfachen Prinzip gibt. Ich wählte mehr oder weniger zufällig nach Intuition diesen Dorntorus. Das Geheimnis ist, sich auf eine Sache, die man für hilfreich hält, zu konzentrieren, über lange Strecken nur noch in diesen Kategorien und Strukturen zu denken. Engramme aufspüren und vermeiden, sich eindenken, intensiv eindenken - das führt zum Ziel. Ich weiß auch, daß beim oberflächlichen Lesen meiner Aufschriebe keine Notwendigkeit besteht, meine Folgerungen zu akzeptieren. Diese ergibt sich ebenfalls erst nach intensivem Eindenken. Dann aber ist sie zwingend!
Die ausschließliche mathematische Ausarbeitung und Herleitung weiterer Naturkonstanten nur aus Rechenvorschriften ohne Bezug zu einem Denkmodell ist mit Vorsicht zu genießen. Mathematik ist nicht nur eine exakte Wissenschaft. Sie läßt semantische Freiheiten und bietet auch eine Fülle an Möglichkeiten für pures Experimentieren.
Dennoch - ob exakt oder nicht - für mich macht die Arbeit derzeit mein prächtiger gestiefelter Kater. Welche Augenweide, zuzusehen, wie er eine Katze nach der anderen aus ihren Säcken befreit. Mir bleibt fast nichts zu tun und falls Puercallis mir ein klein wenig Zeit übrig läßt, wird man wieder von ihm hören.
Aber wehe, lieber Physiker, Du magst keine Katzen! Du wirst Dich weiterhin mit Ratten und Rattenschwänzen, mit Würmern und ihren Wurmlöchern, mit häßlichen Käfern und ganzen Völkern von Bugs herumschlagen müssen. Drum:
Physiker aller Vorlieben, lernt die Katzen nur zu lieben !
Epilog
Die Geschichte ist natürlich noch nicht zu Ende: Ich habe viel zu organisieren in Deutschland, fliege zurück. Auch meine Pilotenlizenz muß verlängert
werden und dies erfordert noch einige zu absolvierende Flugstunden. Ich chartere eine kleine, viersitzige Maschine, fliege von Stuttgart nach - wohin wohl? - nach Korsika, nach Propriano.
In Michels Haus in Solmeto wohnen fremde Leute.
„Michel? Ja, den können Sie in Cagliata treffen. Seit einem Jahr ist er wieder hier. Aber ein wenig seltsam ist er geworden. Wir glauben nicht, daß er Besucher sehen will.“
Eine Stunde später bin ich dort.
„Michel!!“
Mehr
bringe ich nicht über die Lippen. Minutenlang sitzen wir uns schweigend gegenüber. Sein anfänglich starres, maskenhaftes Lächeln hellt sich zusehends auf, wandelt sich in ein offenes, fröhliches Strahlen. Er steht auf, legt mir den Arm
über die Schulter:
„Wong, ich freue mich, dich wiederzusehen.“
Das Eis ist gebrochen, die Erzählungen sprudeln auf beiden Seiten und natürlich berichte ich von meinen Entdeckungen. Wie früher ist er überhaupt nicht überrascht und
sagt in seiner gedankenleserischen Art:
„Wong, du erzählst mir nichts Neues. Ich muß dabei an meinen Vater denken: Er war Wissenschaftler - aber ich kenne ihn nicht, weiß nicht einmal seinen Familiennamen. Er hat sich, nachdem ich
geboren war, nie mehr bei meiner Mutter blicken lassen - aber er hat Aufzeichnungen bei ihr hinterlassen. Hundert mal und mehr habe ich sie gelesen in meiner Jugend. Es war meine Bibel - aber ich habe sie nicht verstanden. Es ging um Atome
und komplexe Zahlen - aber was sollte ich damit anfangen? Und heute, 65 Jahre bin ich jetzt alt, heute erkenne ich die Bedeutung. Ich danke dir, Wong!“
„Korsischer Wissenschaftler? Vor 65 Jahren? Zeig mir die Aufzeichnungen!“
„Er war
Italiener, Ettore hieß er. Nein, die Aufzeichnungen habe ich nicht mehr. Sie sind bei den Umzügen wohl verlorengegangen.“
Italiener? Ettore?
Plötzlich fange ich an zu frösteln, eine Gänsehaut überzieht mich. Trotz der sommerlichen
Wärme lege ich meine Jacke an. Michel lehrt mich zum wiederholten Male:
Alles Denkbare ist schon gedacht.
Man muß sich nur erinnern können - an die Gedanken der anderen.
„Nein, Michel, ich habe Dir zu danken!“
* * *